Die Rebenprinzessin
huschte er zum Stalltor. Der Gestank nach Mist und Pferden strömte ihm entgegen, und außer dem Schnauben der Rösser waren keine Geräusche zu vernehmen. Dafür brannte Licht. Wo die Öllampe genau hing, war nicht ersichtlich, aber ihr Schein drang recht weit in die Dunkelheit vor.
Schon beim Eintreten spürte Martin die Anwesenheit eines Wächters. Wo genau der Mann sich befand, konnte er nicht sagen, aber gewiss hielt er Augen und Ohren offen. Da er keine Lust verspürte, durch die Nacht zu flüchten, womöglich mit einer Horde wütender Dorfbewohner auf den Fersen, musste er sich etwas einfallen lassen. Sich als der Reitknecht eines der Besucher auszugeben, kam ihm in den Sinn, doch den Plan verwarf er bald wieder, denn gewiss konnten sich von den Leuten, die hier einkehrten, nur die wenigsten einen Reitknecht leisten.
Der nächste Gedanke war, den Bewacher zu überwältigen. Ein besserer Kämpfer war noch immer nicht aus ihm geworden, aber vielleicht gelang es ihm mit einer List.
Zunächst musste er den Mann aber erst einmal ausfindig machen. So vorsichtig wie möglich schlich er zwischen den Pferden hindurch, um sie auch ja nicht zu erschrecken. Einige Tiere scheuten ein wenig zurück, während andere stoisch stehen blieben oder die Köpfe in die Futterkrippe steckten.
Da er schon mal hier war, suchte Martin auch gleich nach Tieren, die ihm für die Flucht aus dem Kloster geeignet erschienen. Stark und schnell mussten sie sein und vor allem ausgeruht. Im Stillen bedauerte er, sich nicht besser mit Pferden auszukennen. Schließlich machte er zwei Tiere aus, die ihm geeignet erschienen, einen Rappen und einen Braunen. Bevor er sie jedoch abbinden konnte, machte sich der Wächter bemerkbar.
Schritte ertönten über Martin, und wenig später erschien der Bursche in der Stallluke. Er kletterte ein Stück weit die Leiter hinunter, hielt inne, um sich am Hintern zu kratzen, und setzte seinen Weg dann fort.
Martin duckte sich hinter die Pferde. Der Rappe stieß ein unwilliges Schnauben aus, blieb aber stehen. Als er den Kopf zur Seite wandte, strich der Atem, der seinen Nüstern entwich, über Martins Kopf hinweg.
Doch in diesem Augenblick hatte er nur Augen für den Wächter. Der Mann war beinahe doppelt so breit wie er, hatte einen Kopf, der eckig wie ein Kasten war, und grobe Gesichtszüge. Seine Hände waren groß wie Pfannen, und schon von weitem konnte Martin die Hornhaut auf den Fingern erkennen. Der Bursche war es gewöhnt, Lederriemen zu halten und störrische Pferde zu besänftigen. Mit einem wie Martin würde er gewiss im Handumdrehen fertig werden.
Während der Wächter sich schnäuzte, sich die Nase an seinem Ärmel abwischte und dann mit den Händen durch sein zotteliges rotblondes Haar fuhr, schaute sich Martin nach einem Gegenstand um, der schwer genug war, um den Wächter damit niederzuschlagen. Er entdeckte einen Eimer und einen Besen, doch beides wirkte nicht massiv genug. Schließlich konnte er im schummrigen Licht ein Holzjoch ausmachen. Nachdem er sich noch einmal zu dem Wächter umgesehen hatte, huschte Martin geduckt auf die andere Seite. Dort lehnte er sich an die Wand und regte sich nicht.
Der Wächter schien einen Laut vernommen zu haben, denn er hielt inne und lauschte. Martin drückte sich so fest er konnte an die Wand und hoffte, dass der Schatten ausreichte, um ihn zu verbergen. Der Bursche blickte sich noch eine Weile um, dann schob er den Finger in die Nase.
Martin, der die Luft angehalten hatte, atmete so geräuschlos wie möglich aus und beugte sich nun wieder etwas vor. Der Wächter hatte ihm nun den Rücken zugewandt.
Wenn ich schnell bin und ihm mit dem Joch eins überziehe, könnte es klappen.
Rasch erhob er sich und schlich zu der Ecke, in der das Joch stand. Doch er hatte das Gehör des Wächters unterschätzt.
»He, du da!«, fuhr der Mann ihn an, kaum dass er sich gebückt hatte, um nach dem Joch zu greifen.
Die näselnde Stimme fuhr Martin durch Mark und Bein. Er holte tief Luft, umklammerte das Joch fest und wartete, dass der Bursche näher kam.
»Was hast du hier zu suchen?«, verlangte er nun zu wissen.
Martin tat, als hörte er nichts. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und seine Finger wurden kalt. Wenn du jetzt versagst, warnte ihn seine innere Stimme, wirst du deines Lebens nicht mehr froh sein. Dann kannst du auch Bella nicht mehr helfen.
Dem Wächter wurde es irgendwann zu bunt. Mit riesigen Schritten kam er auf Martin zu, der das Joch noch fester
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