Die Rebenprinzessin
geschwängert, die daraufhin aus Angst vor Schande von der Burg geflohen ist. Und er hat …«
»Er hat versucht, dir Gewalt anzutun, nicht wahr?«
Bella nickte.
Die Äbtissin schwieg nachdenklich, während es hinter ihrer Stirn heftig arbeitete. »Nicht immer können wir uns aussuchen, wie unser Schicksal aussehen wird«, sagte Magdalena schließlich. »Viel zu oft bestimmen andere Menschen unseren Weg. Auch du wirst nicht um die Heirat mit einem Mann herumkommen, den dein Vater dir aussucht. Nicht einmal Bauernmädchen haben diese Wahl.«
Bella senkte den Kopf. Da mochte sie vielleicht recht haben, aber musste man sich denn unweigerlich seinem Schicksal fügen?
»Komm näher, Mädchen«, sagte die Mutter Oberin und streckte die Hände nach ihr aus. Als Bella direkt vor ihr stand, sah sie ihr einen Moment lang in die Augen. »Wisse, dass Gott dich prüft. Er stellt dich vor diese Herausforderung, weil er sehen will, wie du dich verhältst. Tust du das nach seinem Gefallen, wird er dich eines Tages dafür belohnen.«
Das fiel Bella schwer zu glauben. Was hatte sie Gott denn getan, dass in letzter Zeit alles schiefging? Missbilligte er es, dass sie sich in Martin verliebt hatte?
»Was soll ich tun, um ihm zu gefallen?«, fragte sie. »Ich weiß es mittlerweile nicht mehr. Ich gehe nur nach meinem Gewissen, und das sagt mir, dass ich mich auf eine Heirat mit dem Fürsten nicht einlassen soll.«
Wieder folgte ein langer Blick der Mutter Oberin. »Sei wie der Wein, Bella«, lautete ihre ebenso überraschende wie vielsagende Antwort. »Kein anderes Gewächs ist wie er in der Lage zu leiden und trotzdem Schönes entstehen zu lassen. Manchmal glaube ich sogar, dass der Rebstock das Leid braucht, um Vollkommenheit zu erlangen. So ergeht es vielen Menschen, vielleicht auch dir. Nutze das Leid, um stark zu werden.«
Die faltige Hand der Frau ruhte noch eine Weile auf ihrem Arm, dann zog sie sich zurück. Bella entgegnete nichts. Sie konnte einfach nicht.
»Gut, geh wieder an deine Arbeit. Und scheu dich nicht, um Rat zu fragen, wenn du ihn brauchst.«
Diese Worte durchzuckten Bella wie ein Peitschenhieb. Wie meint sie das? Sie blickte auf, in der Befürchtung, einen wissenden Ausdruck auf Magdalenas Gesicht zu sehen. Doch diese hatte den Blick schon wieder auf das Pergament gesenkt und sah auch nicht auf, als Bella knickste und ihre Schreibstube wieder verließ.
Seufzend ließ sich Martin auf den riesigen Feldstein hinter ihm sinken. Sein Blick wanderte zum Glockenturm der Klosterkirche, den einige Fledermäuse umkreisten. Die geflügelten Jäger flatterten unstet umher, unberechenbar in der Richtung, die sie als Nächstes einschlagen würden.
Geschichten von Unheil und Verderben kamen Martin wieder in den Sinn. Als Kind hatte er einmal gesehen, wie ein Bauer eine Fledermaus an seine Haustür genagelt hatte. Als er den Mann fragte, wozu das gut sein sollte, sagte der, dass die Fledermaus das Unglück von seinem Haus fernhalte. Doch konnte sie das? Wenn ja, war das Kloster ein Ort, an dem es kein Unheil gab.
So oft Martin das trutzige Gebäude auch schon umrundet hatte, er entdeckte keine Möglichkeit hineinzukommen. Es gab zwar einige Pforten, die in den Garten führten, aber sie waren allesamt verschlossen. Am großen Tor waren keine Wachposten aufgestellt, wie es bei einer Burg der Fall gewesen wäre. Dennoch passte gewiss jemand auf, dass sich kein Unbefugter auf den Burghof schlich.
Diesmal werde ich es richtig machen, dachte er, während er den Blick über die Mauern schweifen ließ. Diesmal werden wir uns nicht auf das Schicksal und unsere Füße verlassen. Auch wenn die Äbtissin sicher keine Hunde hat, die sie uns hinterherschicken kann.
Er machte kehrt und ging zurück ins Dorf.
Das einzige Gebäude, in dessen Fenstern noch schummriges Licht brannte, war die Schenke. Schon von weitem konnte Martin die Stimmen der Gäste vernehmen. Obwohl es beinahe Mitternacht war, schienen sie noch immer fröhlich zu zechen. Das war ihm nur recht, denn jemand, der Humpen stemmte, dachte nicht an sein Pferd.
Während er das ferne Gejaul eines Hundes vernahm, schlich er um das Gebäude und strebte den Ställen zu. Bist du sicher, dass du weißt, was du hier tust?, dachte er sich. Als ehemals Studierender der Rechtslehre wusste er genau, was mit Pferdedieben geschah, wenn sie erwischt wurden. Aber dieses Risiko wollte er für Bella gern eingehen.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand auf dem Hof war,
Weitere Kostenlose Bücher