Die Rebenprinzessin
leiden und dennoch Schönes hervorzubringen.
Vielleicht habt Ihr recht, dachte sie. Vielleicht ist dieses Kind etwas Schönes. Immerhin wurde es in Liebe gezeugt und nicht in Zwang, wie es mit Roland von Hohenstein passiert wäre.
Doch wer außer ihr würde das so sehen? Die Mutter Oberin ganz sicher nicht. Und ihr Vater? Würde er sie dazu zwingen, das Kind wegzugeben, wenn es geboren war? Oder sie davonjagen und verkünden, sie sei nicht mehr seine Tochter. Eine Antwort wollte sie nicht finden, und auch der Wind, der raunend gegen die Fensterläden ihrer Zelle drückte, gab ihr keine Antwort.
Der Junge aus ihrem Traum kam ihr wieder in den Sinn. Konnte es sein, dass Martin damit gemeint war? Wenn sie recht darüber nachdachte, hatte der Kleine ihm ähnlich gesehen. Dass er ebenso wie sie weggerissen wurde, konnte nur für ihre Väter stehen, die ihre Verbindung missbilligen würden.
Bella wusste, dass die Äbtissin nichts auf Traumdeuterei gab, dennoch hätte sie den Sinn dieses Traumes nur zu gern verstanden. Vielleicht will er mir sagen, dass ich etwas tun muss?, ging es ihr durch den Sinn. Außerdem bringt es nichts, wenn ich hierbleibe und einen Tag um den anderen verstreichen lasse. Wenn ich zusehe, wie mein Bauch wächst und mein Zustand immer offensichtlicher wird. Irgendwie muss ich einen Weg finden, mit Martin zu sprechen. Auch wenn das bedeutet, dass ich dem Kloster entfliehen und mich in Gefahr begeben muss, indem ich zur Burg Bärenwinkel übersetze.
Dieser Gedanke beherrschte sie so sehr, dass sie sich schließlich von ihrem Lager erhob. Ich habe es schon einmal versucht, ging es ihr durch den Sinn. Schon einmal bin ich aus dem Kloster entkommen. Damals hatte ihre Flucht unter keinem glücklichen Stern gestanden, aber damals war sie ja auch noch ein Kind. Vielleicht hatte sie bei einem neuerlichen Versuch mehr Glück.
Nachdem sie eine Weile unruhig hin und her gegangen war, begab sie sich zu der kleinen Truhe, in der sie ihre Hemden und Kleider aufbewahrte. Mehr als ihr Ordenskleid und einen Mantel hatte sie nicht, dafür aber zwei neue Hemden. Die zog sie rasch über jenes, das sie bereits trug, dann warf sie sich Kleid und Mantel über.
Bella war sich dessen bewusst, dass die Nächte empfindlich kühl waren. Gewiss gibt es hier in der Gegend Scheunen, in denen ich schlafen kann, sagte sie sich. Vielleicht hat ja ein Bauer Mitleid mit mir und gibt mir etwas zu essen.
Das Risiko, in die Küche zu schleichen, wollte sie nicht auf sich nehmen, denn Sunna und Adelheid schliefen in der Kammer nebenan und bekämen gewiss mit, wenn sie dort rumorte. Als sie alle Kleider am Leib trug und das kleine Bündel mit den Andenken unter dem Bett hervorgeholt hatte, schlich sie zur Tür.
Das Dormitorium war von gespenstischer Stille erfüllt. Der Wind raunte hier viel leiser als in den Zellen, die der Außenseite des Wohngebäudes zugewandt waren.
Nachdem Bella eine Weile mit angehaltenem Atem an der Tür verharrt hatte, trat sie aus ihrer Zelle und zog dann die Tür zu. Glücklicherweise achtete die Mutter Oberin stets darauf, dass die Angeln sorgfältig geschmiert waren.
Vorsichtig setzte Bella einen Schritt vor den anderen, darauf bedacht, nicht einmal ein Scharren zu verursachen. Dieses hätte vermutlich hundertfach von den Wänden widergehallt und die Hellhörigen unter den Schwestern geweckt. Nachdem Bella sich ein Stück von ihrer Zellentür entfernt hatte, meinte sie, ein Geräusch zu hören. Es klang fast so, als würde ein Tier gegen Holz kratzen.
Sie blieb stehen und ließ den Blick über den Boden schweifen. Wie sie Ratten hasste! Auch wenn es Gottes Geschöpfe waren, saß Bellas Abneigung gegen die Tiere tief. Doch auch nach mehrmaligem Umdrehen konnte sie keine Ratte erblicken. Dafür wurde das Geräusch nun stärker und entpuppte sich als das Schnarchen von Schwester Gunhild. Bella hatte die Beschwerden von deren Zellennachbarinnen immer für Unfug gehalten, doch nun wusste sie es besser. Bella erlaubte sich ein erleichtertes Lächeln und setzte ihren Weg fort.
Dabei ließ sie dieselbe Vorsicht walten wie zuvor. Wie viel Zeit sie brauchte, um an die Außentür zu gelangen, wusste sie nicht. Aber sie hoffte inständig, dass noch nicht die dritte Stunde herannahte und Schwester Hulda, die für das Glockenschlagen zuständig war, erwachte. Schließlich, nach schier endlosen Augenblicken, erreichte sie die Außentür des Dormitoriums und öffnete sie.
Eisiger Nachtwind schlug ihr entgegen, als
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