Die Rebenprinzessin
sie auf den Hof trat. Irgendwo flatterte ein Vogel auf, und ein leises Maunzen drang aus einer dunklen Ecke.
Wohin soll ich nun gehen?, fragte sie sich, während sie den Mantel enger um die Schultern zog. Zu meinem Vater kann ich nicht zurück. Und zur Burg Bärenwinkel?
Sie schüttelte den Kopf. Nein, dorthin konnte sie auch nicht. Martin war zwar wieder bei seinem Vater, aber der Graf achtete sicher genau darauf, dass der Junge nicht mit ihr in Kontakt trat.
Ich könnte mich als Magd dort einschleichen, ging es ihr durch den Kopf. An ihrem Gewand war sie zwar als Angehörige des Klosters zu erkennen, aber vielleicht war unterwegs ja jemand gewillt, es ihr gegen ein anderes einzutauschen. Außerdem hatte sie noch die Brosche und das Haarband ihrer Mutter. Wenn sie damit nach Koblenz ging, bekam sie dafür sicher etwas zu essen und ein Gewand.
Es würde ihr zwar weh tun, die Schmuckstücke herzugeben, aber sie wusste, dass ihre Mutter trotz allem in ihrem Herzen wohnte. Gewiss würde sie wollen, dass Bella den Schmuck zu diesem Zweck verwendete.
Nachdem sie den Blick noch einmal über den Hof hatte schweifen lassen, strebte sie dem großen Tor zu. Vermutlich hatte die Mutter Oberin abgeschlossen, einen Versuch war es Bella dennoch wert. Während sie so leise wie möglich weiterlief, lauschte sie aufmerksam und sah sich immer wieder um. Über ihre Anspannung bemerkte sie zunächst nicht, dass die Kälte allmählich durch den Wollstoff ihres Mantels und Gewandes kroch.
Am Tor angekommen, erblickte sie die schweren Riegel und sah auch, dass die Schlösser davor zugeschnappt waren. Offenbar rechnete die Mutter Oberin doch damit, dass jemand einen Fluchtversuch wagte. Während leise Enttäuschung sich in ihr breitmachte, begannen ihre Zähne nun doch zu klappern. Was sollte sie jetzt tun?
Die Gartenpforte!, schoss es ihr plötzlich in den Sinn. Gewiss war sie ebenfalls verschlossen, doch der freie Raum über der Pforte konnte reichen, um sich hindurchzuzwängen.
Bella zögerte nicht lange und schlich los. Sie stockte, als sie meinte, hinter einem der Fenster einen Lichtschein aufflammen zu sehen. Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust, und während sie die Luft anhielt, wirbelten die Gedanken nur so in ihrem Kopf herum. Wo sollte sie sich verbergen? Was würde passieren, wenn die Frauen ihren Fluchtversuch bemerkten?
Doch dann stellte sich die vermeintliche Kerzenflamme als Täuschung heraus, hervorgerufen vom Mondlicht, das hinter einer Wolke hervorblitzte.
Sie rang den Schrecken nieder, setzte ihren Weg fort und stand schließlich vor der Gartenpforte und schleuderte kurzerhand ihr Bündel durch das Loch. In der Nähe entdeckte sie ein Fass, das hoch genug war, um die Oberkante der Pforte zu erreichen. Sie klammerte sich daran fest und versuchte sich daran hochzuziehen. Dabei kam es ihr vor, als würden sich ihre Muskeln wie Seile spannen, die Pferde mit einem Fuhrwerk verbanden. Ihr Körper erschien ihr mit einem Mal unglaublich schwer, als hätte ihr jemand Steine an die Füße gebunden.
Ein Geräusch in der Ferne, das klang, als öffnete jemand eine Tür, trieb sie an. Die Angst ließ sie ihre Schwäche vergessen, und ehe sie es sich versah, fand sie sich oberhalb der Torkante wieder. Die Öffnung war gerade groß genug, dass sie hindurchpasste. Allerdings musste sie mit dem Kopf voran. Bella drehte sich zur Seite und versuchte, ihre Schulter und ihr Gesäß hindurchzuschieben. Dabei rutschte sie ab und stürzte in die Tiefe. Seitlings prallte sie auf dem Boden auf, und für einen kurzen Moment war es ihr, als hätten ihre Lungen vergessen, wie sie die Luft einsaugen sollten.
Als sie sich von dem Moment der Atemlosigkeit wieder erholt hatte, richtete sie sich stöhnend auf. Das Bündel, das sie zuvor über die Pforte geworfen hatte, hatte zumindest ihren Kopf davor bewahrt, hart auf dem Boden aufzuschlagen.
Der nächste Gedanke, der sie durchzuckte, war der an das Kind. Was, wenn es Schaden genommen hat?, fragte sie sich. Die kleine Stimme, die ihr riet, froh zu sein, wenn es abginge, drängte sie energisch zurück. Das Kind sollte leben! Wenn sie schon seinen Vater nicht haben konnte, so wollte sie wenigstens etwas, das sie daran erinnerte, innig geliebt zu haben.
Nach einer Weile war sie so weit, dass sie sich auf die Beine stellen konnte. Sie lauschte in ihren Körper hinein, konnte allerdings keine Veränderung ausmachen.
Sie lief den Weg zum Weinberg hinunter und erreichte nur wenig später die
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