Die Rebenprinzessin
stumm und ließ sich von ihm mitziehen. Während sie zwischen den Rebstöcken vorbeieilten, behielten sie den Bergfried im Auge, der jenseits der Burgmauer vor ihnen aufragte.
Plötzlich hielt Bella inne. Ihr war, als hätte sie etwas gehört und gleichzeitig einen fremdartigen Geruch wahrgenommen. Einen Geruch, der nicht zu den Reben passen wollte. Hier roch es im Herbst nach absterbendem Laub, verfaulenden Trauben, feuchter Erde und Moder. Aber diese Gerüche kannte Bella. Was konnte es sein? »Riechst du das auch?«, fragte sie und blickte sich um.
Anstatt einer Antwort ertönte ein dumpfes Geräusch neben ihr. Als Bella herumwirbelte, sah sie gerade noch, wie Martin zu Boden fiel. Bevor sie allerdings aufschreien konnte, packte jemand sie und hielt ihr ein Messer an die Kehle.
»Ruhig, meine Schöne, du willst doch wohl nicht, dass ich dir den Hals durchschneide.«
Die Stimme des Mannes war Bella unbekannt, dennoch jagte sie ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Das musste der Italiener sein. Hatte er etwa den Sohn seines eigenen Herrn niedergeschlagen? Oder hatte er irgendwelche Spießgesellen angeheuert?
Bevor sie eine Antwort finden konnte, zerrte der Fremde sie von Martin weg. Den Schrei, der in ihr aufstieg, drängte die Angst in ihre Kehle zurück, als sie den zweiten Mann bemerkte, der vor ihr aus dem Gebüsch trat.
Es war Roland von Hohenstein, und das Grinsen auf seinem Gesicht verhieß ihr ein schlimmeres Schicksal als den Tod.
29. K APITEL
Als Martin wieder zu sich kam, fand er sich auf Waldboden wieder. Sein Gesicht hinterließ einen Abdruck auf dem Moos, aus dem ihm ein feuchter Modergeruch entgegenströmte. Aufstöhnend versuchte er, die Arme und Beine zu bewegen, doch es war ihm nicht möglich. Man hatte sie ihm fein säuberlich zusammengeschnürt.
Während er langsam die Augen aufschlug, fragte er sich, was geschehen war. Die vergangenen Augenblicke waren wie ein dunkler Turm, in den kein Strahl Sonnenlicht fiel. Dann kam ihm jedoch wieder in den Sinn, dass er mit Bella durch den Weinberg gelaufen war, um von dort in die Burg zu gelangen.
Da war es passiert!
Bei der Erinnerung an den Schlag, der ihn ins Reich der Träume geschickt hatte, durchzuckte es ihn eisig. Bella!, schien ihm plötzlich eine innere Stimme zuzurufen. Sogleich sah er sich nach ihr um, konnte sie allerdings nicht neben sich entdecken.
»Bella?«, fragte er also in die Dunkelheit hinein, doch die einzige Antwort, die er erhielt, war das Rufen eines Kauzes, der sich in die Lüfte schwang.
Martins Herz begann zu rasen. So laut, dass er den Flügelschlag des Vogels nicht mehr wahrnahm. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu, und schreckliche Bilder von dem, was Giacomo Bella antun könnte, stiegen vor ihm auf. Wenn Roland von Hohenstein bei ihm war, hatte sie ihr Leben gewiss bereits verwirkt.
Stöhnend wälzte sich Martin herum. Über ihm schob sich der Mond durch die Wolkendecke und beleuchtete das gelbe Laub des Baumes, unter den man ihn gelegt hatte. Einige Lichtstrahlen fielen auch auf sein Gesicht, als ihm einfiel, dass er noch immer sein Messer bei sich hatte – vorausgesetzt, Giacomo hatte es ihm nicht abgenommen. Da der Italiener ihm die Hände vor dem Körper gefesselt hatte, tastete sich Martin ab, bis er etwas Hartes fühlte. Offenbar war ihm beim Fallen der Dolch weiter in den Hosenbund gerutscht.
Rasch versenkte er die Hände in seinen Beinkleidern und zerrte die Waffe hervor. Während er den Griff mit den Händen festhielt, zog er mit den Zähnen die Scheide herunter. Bald blitzte die Klinge im Mondschein auf, und wenig später schob er sie sich zwischen die Knie, um das Seil daran zu reiben.
Er hatte es fast geschafft, da rutschte er ab, und das Messer durchtrennte nicht das Seil, sondern verletzte seinen Arm. »Verdammt!«, schrie Martin und schreckte damit einen Vogel aus dem naheliegenden Gebüsch.
Er versuchte den brennenden Schmerz zu vertreiben, indem er an Bella und das Kind dachte, und machte weiter. Kurz darauf waren die ersten Fasern durchtrennt, und Martin gab nicht eher auf, bis sich die Fessel löste und er sie endlich abstreifen konnte.
Da das Blut von der Schnittwunde inzwischen seinen Ärmel getränkt hatte, zerrte er rasch sein Hemd aus dem Hosenbund und trennte einen Streifen ab, mit dem er die Wunde verband. Er schob den Dolch wieder in den Hosenbund und versuchte sich zu orientieren, bis er wusste, welche Richtung er einschlagen musste.
Bella musterte die beiden
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