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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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uns wie Aussätzige, seit einhundertsiebenundsechzig Jahren verbieten uns Eure heuchlischeren Vorurteile, eine andere Laufbahn einzuschlagen. Wenn Ihr nun Hippolyte nicht ernennt, verdammt Ihr uns zu Arbeitslosigkeit und
     
    Armut und das, Herr Präfekt, werden wir, mit Verlaub, nicht zulassen! «
    » Geht, Madame, sonst lasse ich Euch hinauswerfen! «
    »Gebärdet Euch nur nicht so überlegen, Ihr könntet in eine unangenehme Lage kommen, wenn Ihr uns braucht«, sagte Clémence und richtete die Spitze ihres Schirms auf seine Brust.
    Sie schlug ihren Schleier über das Gesicht, drehte sich auf dem Absatz um und verließ mit ihrem Sohn das Zimmer.
    Der Präfekt zuckte die Schultern. Die Zeiten hatten sich geändert, und am Abend des Tages, an dem der Henker so unglücklich ums Leben gekommen war, hatten ein Dutzend Anwärter ihre Kandidatur abgegeben. Doch als er sie einige Tage später vorlud, um seine Wahl zu treffen, kam nur ein einziger, und zwar um seine Bewerbung zurückzuziehen.
    »Warum habt Ihr Euch denn dann beworben?«
    »Entschuldigung, Herr Präfekt, aber ich dachte, daß es keinen Pibrac mehr gäbe.«
    »Aber er ist noch ein Kind! Er ist erst vierzehn Jahre alt! «
    »Das mag sein, aber er ist alt genug, um mich zu verwünschen. Ihr stammt nicht aus dieser Gegend, sonst würdet Ihr das verstehen.«
    »Hat man Euch bedroht?«
    »Aber nein! Aber die Knechte von Madame Clémence erzählen überall in der Stadt, daß von Rechts wegen das Amt dem Kleinen zustehe. Man braucht nicht besonders schlau zu sein, um zu wissen, was das heißt.«
    Erst als er hörte, daß die Pibracs sehr reich waren, änderte der Präfekt seine Meinung: begüterte Leute sind immer einflußreich, und es ist besser, auf gutem Fuß mit ihnen zu stehen. Er ließ Clémence zu sich bestellen und überreichte ihr die Ernennungsurkunde. Doch zugleich warnte er sie:
    »Ob er das Amt nun selbst ausführt oder nicht, Euer Sohn ist verpflichtet, bei jeder Hinrichtung anwesend zu sein, so will es das Gesetz.«
    Clémence sah ihn voller Verachtung an und entgegnete:
    »Natürlich wird er anwesend sein. Was glaubt Ihr denn, wo er den Beruf erlernen wird, wenn nicht auf der Richtbühne?«
    Einen Monat vor dieser Unterredung hatte Louis Magne, ein Ochsenhirte ohne Arbeit, der herumzog und kleine Schmuggeleien beging, einen Weinhändler aus der Unterstadt erstochen, um ihn zu bestehlen. Anstatt zu fliehen, hatte Magne eine Flasche nach der anderen geleert. Als die Gendarmen ihn entdeckten, schnarchte er quer über seinem Opfer ausgestreckt.
    Man machte ihm den Prozeß, und er wurde zum Tode verurteilt. Casimir und Félix verließen den Gerichtssal, um beim Gerichtsschreiber den Hinrichtungsbefehl abzuholen. Dann fuhren sie sogleich nach Hause zurück, wo Clémence sie erwartete.
    »Todesstrafe!« riefen sie, noch ehe sie von ihren Pferden abgestiegen waren.
    »Habt ihr den Dienstauftrag?«
    Félix gab ihn ihr. Sie las ihn, prüfte die Unterschrift, den Stempel und das Datum und reichte ihn dann ihrem Sohn, der ihn laut vorlas:
    Der Scharfrichter wird bestellt, sich am 14. September zum Gerichtsgebäude von Bellerocaille zu begeben, um dort die Strafe, die Louis Magne zum Tode verurteilt, zu vollstrecken. Die Hinrichtung ist für 4 Uhr nachmittags auf dem Place du Trou festgesetzt.
    Am nächsten Tag wurden im Morgengrauen die zerlegte Guillotine und das Schafott auf einen Planwagen geladen.
    » Hm, das riecht gut«, sagte der Junge und schnupperte an den Balken, die mit Bienenwachs gepflegt wurden.
    Die Knechte lächelten sich zu. Diese Bemerkung belegte, daß der Junge die richtige Einstellung hatte.
    »Ja, das riecht gut«, bestätigte Clémence, die das Aufladen überwachte. » Dein Urgroßvater, der Rächer, hat sie gebaut.«
    »Jedes Teil läßt sich in das andere schieben«, fügte Félix hinzu und verschränkte die Hände, um es ihm zu zeigen. » So etwas gibt es kein zweites Mal. Alle Familien beneiden uns darum. Und natürlich auch um die >Mechanische<.«
    Hippolyte nickte ernsthaft. Da er schon zuvor mehrmalig diesen Vorbereitungen beigewohnt hatte, war ihm all das bekannt, aber es war das erste Mal, daß man sie ihm wirklich erklärte. Früher hatte man sich immer nur an seinen Bruder gewandt.
    Um 7 Uhr war alles bereit. Man stärkte sich in der Küche mit einem reichlichen Frühstück, dann legte jeder seine Kleider für die Hinrichtung an: die Knechte waren in rot und schwarz gekleidet. Hippolyte trug einen Gehrock mit Samtrevers und

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