Die rechte Hand Gottes
und gehört hatte, doch manchmal kamen ihm Zweifel. »Habe ich wirklich eine Sammlung von Nasen und von den Kragen der zum Tode Verurteilten gesehen?« Nachdem er einmal das Herrenhaus verlassen hatte, kamen Zweifel in ihm auf.
Er ging noch einmal seine Aufzeichnungen durch und trug eine Liste von Fragen zusammen, die er zu stellen versäumt hatte, und zum ersten Mal dachte er wirklich daran, ein Buch zu schreiben.
Sein lebhaftes Interesse hatte dem alten Henker gefallen, dessen Erzählungen unerschöpflich schienen, und er hatte jede seiner Geschichten mit der Bemerkung eingeleitet » Sie sind der erste außerhalb der Familie, dem ich das erzähle«.
Am nächsten Morgen fuhr der Anwalt, obschon der Himmel dunkel und bedrohlich aussah, in seinem Kabriolett zum Herrenhaus der Pibracs, wo er den Tag verbrachte. Zum Mittagessen servierte Casimir auf einer Platte aus Limoges-Porzellan. Als sie leer war, kam ein wundervolles Bild des Heiligen Laurentius auf seinem Scheiterhaufen zutage. Während sie einen starken Kaffee tranken, erwähnte Hippolyte zum ersten Mal die Erinnerungen.
»Nach der Tradition sind wir verpflichtet, Tagebuch zu führen. Nulla dies sine linea. Jeder meiner Vorfahren hat sich daran gehalten. Und auch ich schreibe jeden Abend.«
Da haben wir es ja, dachte Malzac und bemühte sich, erstaunt zu wirken.
» Das muß ja inzwischen einen beachtlichen Umfang erreicht haben.«
»Das kann ich Ihnen sagen.«
»Wo sind sie denn? Darf ich sie sehen?«
Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns erhob sich Hippolyte schließlich und führte ihn in ein geräumiges Arbeits- und Lesezimmer. An drei Wänden zogen sich Bücherregale entlang, an der vierten standen ein Schreibtisch aus dem Mittelalter und ein Renaissanceschrank mit Aufsatz aus geschnitztem Nußbaumholz. Hippolyte öffnete ihn, und man sah mehrere Reihen von Handschriften, die in blaßrotes Leder gebunden waren. Auf dem Rücken jedes Bandes war der Name seines Autors eingraviert. Doch schon schloß Hippolyte die Schranktüren wieder.
»Wollen Sie sie mir nicht zeigen?«
»Nein, Monsieur Malzac, die Tradition verbietet es. Der Inhalt der Erinnerungen darf nur im Kreise der Familie verbreitet werden.«
Der Anwalt bemerkte, daß weder der Schrank noch die Tür des Arbeitszimmers abgeschlossen wurden.
»Haben Sie schon einmal einer Hinrichtung beigewohnt?«, fragte ihn Hippolyte später.
»Nein.«
»Dann haben Sie also noch nie eine Guillotine gesehen?«
»Nur auf Bildern.«
»Sehr gut, dann werden wir Ihnen also jetzt eine zeigen.«
Sie verließen das Haus, gingen über den Hof und betraten einen Schuppen, in dem alle Arten von Kutschwagen standen. Es gab sogar eine Sänfte aus vergoldetem Holz, die aus dem XVII. Jahrhundert stammte und noch in recht gutem Zustand war.
» Sie hat unserem Vorfahren und Begründer gehört«, erklärte Hippolyte, der seinen Blick bemerkt hatte.
Dann gingen sie weiter in den Nachbarschuppen, in dem zahlreiche Truhen standen. Casimir öffnete sie. Malzac sah hinein und fragte:
»Haben Sie die dem Staat abgekauft?«
»In keinster Weise, sie gehört unserer Familie seit 1791. Justinien III., der Rächer, hat die Guillotine nach dem offiziellen Modell von Tobias Schmidt gebaut, das man ihm aus Paris geschickt hatte. Er hat das Vorbild übrigens um ein Wesentliches verbessert. Ich könnte Ihnen neun Verbesserungen aufzählen, die zur Folge haben, daß unsere >Mechanische< die funktionellste, die sicherste und die leichteste von allen ist. Und da wir schon einmal dabei sind, werden wir sie eigens für Sie aufbauen, dann wissen Sie wenigstens, um was es sich handelt, wenn Sie darüber schreiben werden.«
Obgleich er versuchte, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, begannen die beiden Alten sogleich mit der Arbeit. Da es zu regnen drohte, nahmen sie den Aufbau im Schuppen vor. Ihre Bewegungen waren genau, gut aufeinander abgestimmt, und sie vermieden jede unnötige Anstrengung.
»Wieviel?« fragte Hippolyte, als die Guillotine sich in der Mitte des Schuppens erhob.
Casimir sah auf seine Uhr.
»Achtundzwanzig Minuten.«
Hippolyte wandte sich zu Malzac, der ihnen fasziniert zugesehen hatte, und sagte in angewidertem Ton:
»Früher haben wir nicht einmal zwanzig Minuten gebraucht.«
Er zeigte ihm, wie man das Fallbeil spannte, und um seine Erklärungen zu verdeutlichen, löste er das Seil. Das Beil sauste in Sekundenschnelle zischend herunter und erzeugte einen dumpfen Knall, als es auf die Lager der Dämpfer
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