Die rechte Hand Gottes
Zug nach Bellerocaille. Eine
Pferdekutsche brachte ihn zur Herberge »Au Bien Nourri«, die ihm Léon empfohlen hatte. Man zeigte ihm ein Zimmer mit einer zum Platz hin gelegenen Veranda, das ihm zusagte. An der Poststelle mietete er ein Kabriolett und ließ sich von dem Vermieter den Weg zur Kreuzung des Jüngsten Gerichts erklären.
»Wollen Sie den Dolmen besichtigen?«
»Nein, ich fahre zum Haus der Pibracs.«
»Ah«, sagte der Mann und nickte.
Als der Anwalt die bevölkerte Rue Droite hinabfuhr, erkannte er im Vorbeifahren die Rue du Dragon, in der sein Mandant wohnte. Er verließ die Stadt über die Pont de la République und fuhr auf den Ulmenhain zu.
Die Größe des Dolmen, der sich auf der Mitte der Kreuzung erhob, beeindruckte ihn. Er stieg aus seinem Kabriolett, um einmal rundherum zu gehen. In seiner Jugend hatte er Sommerausflüge durch das Vallée de la Muze gemacht, wo es unzählige Dolmen gab, doch nie hatte er einen in dieser Größe gesehen. Die obere Felsplatte maß sechs Meter.Wie hatten sie es nur angestellt, sie zwei Meter hoch zu heben? Dann begutachtete er die Befestigungsmauer, die mit Partisanen aus dem XVII. Jahrhundert bewehrt war.
Malzac zog an einer Kette, die eine unsichtbare Glocke erklingen ließ. Er bewunderte gerade die beschlagenen Torflügel, als sich einer von ihnen öffnete und er vor einem hochgewachsenen Greis stand, dessen kahler Schädel nur von einem schmalen Kranz weißer Haare geziert war. Er wurde von einem großen Hund begleitet und musterte ihn mit einem Blick, der ihn frösteln ließ.
Der Anwalt stellte sich vor. Die Züge des Knechts entspannten sich.
»Kommen Sie bitte herein.«
Er öffnete den zweiten Torflügel, um das Kabriolett durchzulassen. Malzac entdeckte das Haus und erkannte sogleich den Herrensitz mit den beiden runden Türmen wieder, den er auf dem Wappen gesehen hatte. Er sah auch den großen Park, der sich endlos hinzog, ein kleines Wäldchen, eine Weide, auf der eine Kuh und einige Pferde grasten, zwei fette Schweine und einen Ententeich.
Malzac ließ seinen Wagen im Hof zurück und folgte Casimir über eine Außentreppe in den ersten Stock, wo er in einen großen lichtdurchfluteten Raum trat, der ihm vor Staunen die Sprache verschlug. Er hörte kaum, daß ihn der alte Knecht bat, Platz zu nehmen und zu warten, bis der Hausherr von seinem Besuch unterrichtet sei.
Als er allein war, ging der Anwalt durch das Zimmer und sein Erstaunen wuchs angesichts der außergewöhnlich gelungenen Kombination von Rustikalem und Elegantem, von nacktem Sandstein und kostbaren Holzverschalungen.
»Dieser Tisch ist ein Vermögen wert«, sagte er sich, nachdem er sich versichert hatte, daß die drei Meter fünfzig lange Eichenplatte aus einem Stück war. Die geschnitzten Tischbeine aus Nußbaumholz hatten die Form einander zerfleischender Greife.
Auf einem Tellerbord im Stil Louis XV. sah er eine Reihe von Tellern aus Moustiers-Steingut, die die verschiedensten Arten von Strafen zeigten, vom Rädern über das Pfählen, das Vierteilen, den Galgen bis hin zum Scheiterhaufen. Eine andere Szene aus Sèvres-Porzellan zeigte Szenen der Revolution wie die Eroberung der Bastille, die Hinrichtung von Louis XVI. und Marie-Antoinette, Marat in seiner Sitzbadewarme ... Ein Teil der Wand wurde von eigenartigen, verzierten Schöpflöffeln eingenommen. Der größte von ihnen war aus Kirschbaumholz und hatte die Form einer geöffneten Hand.
Dann erregte eine feine Vitrine mit Intarsien, die auf einer Kommode im Stil Louis XV. stand, seine Aufmerksamkeit. Er war starr vor Staunen, als er eine Sammlung von Nasen entdeckte, die meisten waren aus bemaltem Holz, einige aus Leder, andere aus Metall und eine, es handelte sich um eine Hakennase, war gar aus Porzellan. Das Eigenartige an dieser Nasensammlung war die Tatsache, daß sie abgenutzt waren, was vermuten ließ, daß sie tatsächlich getragen worden waren.
Der Anwalt untersuchte die Rückwand der Vitrine, als ihn eine Stimme hochfahren ließ: »Roentgen hat sie gemacht, und die Einlegearbeiten sind von Zick, wenn es das ist, wonach Sie suchen, Monsieur Malzac.«
Von der ersten Sekunde an wußte Malzac, daß er noch nie im Leben einen solchen Menschen getroffen hatte.
» Monsieur Pibrac, nehme ich an.«
»Ihre Annahme ist richtig.«
Sie schüttelten sich die Hand und musterten sich dabei eingehend. Der Anwalt spürte, daß dem Henker drei Fingerglieder fehlten. Er bemerkte auch die langen, tiefschwarzen Haare und
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