Die rechte Hand Gottes
Möglickeiten, um ihn zum Gehorsam zu erziehen«, hatte Casimir ihm eindringlich erklärt, »den Blick, die Geste, die Veränderung des Tonfalls und die gerechte Strafe. Die Hunde sind wie wir, sie mögen keine Ungerechtigkeit. Aber sie wissen immer, wann sie im Unrecht sind. Darum darf man auch nicht zögern, sie in diesem Fall zu strafen.«)
Von seinem langen Tag erschöpft, aß der Junge schnell mit den Lehrlingen zu Abend und ging dann hinauf, um zu Bett zu gehen. Sobald sein Kopf auf dem Kissen lag, schlief er ein.
Am nächsten Morgen um 4 Uhr rüttelte Benoit ihn:
»Aufstehen, es ist Zeit! «
Um 6.30 Uhr tauchte die alte Bouzouc mit ihrem Nachttopf auf. Als Saturnin sah, wie Parfait seine Schulmappe packte und sie mit Bonbons vollstopfte, mit denen er sich das Recht zum Abschreiben erkaufte, fand er den Handel, den er mit seiner Tante abgeschlossen hatte, ungerecht. Wenn sie ihn nur die Abschlußprüfung machen lassen würde. .. Und was würde sein Großvater sagen, wenn er erfahren würde, daß er nicht mehr zur Schule ging? Er würde sicherlich den Hund wieder zurückgeben müssen, und dazu konnte sich Saturnin nicht entschließen. Also log er, als Hippolyte ihm die unvermeidbare Frage stellte: » Na, warst du diese Woche fleißig?«
Da seine Lüge Glauben fand, wiederholte er sie bei seinen folgenden Besuchen.
Dann kam der Tag der Prüfung.
Wenn es einem Menschen gelungen ist, einen unterdrückten Wunsch zu befriedigen, werden alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft das Verlangen haben, es ihm gleich zu tun. Um diese Versuchung zu unterbinden, muß man die Kühnheit dessen bestrafen, dem man jetzt die Befriedigung neidet. Dabei kann es geschehen, daß diejenigen, die die Bestrafung - zumeist unter dem Deckmantel der Buße - ausführen, denselben schändlichen Aspekt begehen. Das ist eines der Grundprinzipien des menschlichen Strafrechts.
Doch es wollte Hippolyte nicht gelingen, sich zu konzentrieren. Er unterbrach seine Lektüre und sah mit unruhigem Blick auf die Kaminuhr, die gleich 4 Uhr nachmittags schlagen würde. Da er es nicht mehr auf seinem Stuhl aushielt, legte er sein Buch beiseite und verließ das Arbeitszimmer, um auf den Nordturm zu steigen. Dort traf er Casimir an.
»Du bist also auch der Ansicht, daß das nicht normal ist. Er müßte schon hier sein.«
»Vielleicht hat es bei der Bekanntgabe der Ergebnisse Verzögerungen gegeben?«
»Vielleicht.«
Als es fünf Uhr schlug, spannte Casimir den Landauer an, und Hippolyte schloß das Waffengehenk mit der Lefaucheux. Zuerst fuhren sie an der Schule vorbei, die jedoch schon geschlossen war. Also begaben sie sich in die Rue du Dragon. Casimir brachte Taillevent vor der Bäckerei-Konditorei Léon Trouvé zum Stehen, vor der die Kunden bis auf den Gehsteig hinaus Schlange standen.
»Jesus, Maria und Josef, der Henker! « flüsterten die Leute, als Hippolyte aus dem Wagen mit den blutroten Rädern stieg und auf die Tür zuging, und sogleich traten alle zur Seite.
Hortense, die gerade die Köchin der Beaulouis bediente, stotterte:
»Schwiegervater, welche Überraschung!«
» Guten Tag, Hortense«, sagte Hippolyte und nahm seinen Zylinder ab. »Wo ist Saturnin?«
Die Kunden in der Bäckerei raunten:
»Das ist er, das ist Pibrac!«
»Saturnin? In der Backstube, warum? ... Ah, guten Tag Casimir, Sie sind auch da ... ?«
Der Knecht antwortete nicht. Er begnügte sich damit, die Kunden einen nach dem anderen scharf zu mustern, bis sie den Blick senkten. Die Henkersknechte hatten sich schon immer durch Überheblichkeit ausgezeichnet, und Casimir war ein Meister dieser Kunst.
»In der Backstube?« wiederholte Hippolyte verständnislos.
Er ging um den großen Tresen aus Marmor herum, auf dem Gläser mit Salmiakpastillen und gefüllter Schokolade standen, und trat in das Hinterzimmer, wo die alte Bouzouc einen Hasen ausnahm. Sie bekreuzigte sich vor Überraschung, als sie den Henker sah, der das Hinterzimmer durchquerte und in die Backstube ging.
Saturnin wischte gerade den Boden mit einem Wischlappen auf, den Brise-Tout zu schnappen versuchte. Seine Augen waren gerötet.
Er hat es nicht geschafft und nicht gewagt, zu kommen, dachte der alte Mann und beugte sich hinab, um ihn zu umarmen. Der Junge umschlang seinen Hals und schluchzte.
»Verzeih mir, Großpapa, verzeih mir! «
»Weine nicht, es ist nicht schlimm. Du wirst es bei der Nachprüfung im Herbst noch einmal versuchen, und dann wirst du es schaffen, das garantiere
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