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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Knechte traten beiseite. Da Hippolyte ihn immer mit einem riesigen Apparat auf einem dreibeinigen Stativ gesehen hatte, war er über das wesentlich kleinere Format des schwarzen Kastens, den Puech jetzt benutzte, etwas beunruhigt.
    » Ich hoffe nur, daß die Fotos mit diesem Apparat nicht zu klein werden. Ein Tag wie heute muß auf großen Bildern festgehalten werden.«
    Puech beruhigte ihn. Nachdem die Aufnahmen (insgesamt zwölf) gemacht waren, öffnete Anatole Deibler eine der Truhen und holte ein Schild von etwa fünfzig mal fünfundzwanzig Zentimetern heraus, auf dem geschrieben stand:
     
    GOTTLOSER BLASPHEMIST, RUCHLOS,
    SCHÄNDLICH UND ABSCHEULICH
     
    » Bei all meinen Richtblöcken, Anatole, woher hast du denn das?« begeisterte sich Hippolyte und drehte das Schild um.
    Es war mit einem Etikett versehen, das besagte, daß es der Chevalier de la Barre am 1. Juli 1776 auf seinem Weg zum Schafott um den Hals getragen hatte. Hippolyte erkannte die verschnörkelte Handschrift von Charles Henri Sanson.
    Ohne zu antworten, holte Anatole ein Etui aus Ebenholz aus der Truhe, dessen Deckel mit goldenen Lilien beschlagen war. Darin befand sich auf einem Kissen aus Hermelin das Taschentuch, mit dem man Ludwig XVI. am Tag seiner Hinrichtung die Hände gefesselt hatte. Ein ungläubiges Gemurmel machte sich unter den Umstehenden breit. Hippolyte ließ die Reliquien herumgehen, die Anatole eine nach der anderen mit einem Gebaren, das an einen der Heiligen Drei Könige erinnerte, aus seinem Gepäck zog.
    Alle Anwesenden kannten natürlich die letzten Worte, die Marie-Antoinette ausgesprochen hatte, als sie versehentlich Sanson auf den Fuß getreten hatte: »Verzeiht, Monsieur, ich habe es nicht absichtlich getan«, doch niemand hätte sich vorgestellt, eines Tages den berühmten Schuh zu sehen. Nicht den der Königin, sondern den von Charles Henri, den Anatole jetzt aus seinem Wunderkoffer zog.
    Angesichts des eleganten Schnallenschuhs (rechter Fuß, Größe 43), verfielen die Zuschauer in respektvolles Schweigen. Leider war auf dem schwarzen Leder keine Spur des königlichen Fehltritts zu sehen.
    »Mademoiselle Sophie übergibt sie deinem Museum«, erklärte Deibler schließlich. »Sie hat sich in das Kloster Neuill'Espoir zurückgezogen und konnte nicht kommen. Angesichts ihres Alters und des Zustands eurer Straßen war das ohnehin besser... Deine Idee, ein Museum einzurichten, hat sie begeistert, und so schenkt sie dir alles, was sie geerbt hat. Nach ihrer Aussage hat ihre ältere Schwester, die sich von der Familie losgesagt hat, die andere Hälfte des Erbes vernichtet.«
     
    Es gab nur wenige Familien, die nicht diese Art von Abtrünnigkeit erlebt hatten. Man konnte sogar davon ausgehen, daß die, die an diesem Tag nicht anwesend waren, nach der Abschaffung ihres Amtes versucht hatten, sich von ihren Familien loszusagen, indem sie sich in die Anonymität geflüchtet, den Namen gewechselt hatten oder ausgewandert waren
     
    Anatole war sich der Wirkung seines letzten Geschenks sicher, als er eine Mappe hervorzog und sie öffnete.
    »Das sind die Entwürfe aller wichtigen Briefe, die er geschrieben hat. Auf der Reise habe ich einige gelesen, sie sind sehr spannend. Es liegt auch eine Abschrift seiner Rechnungsbücher bei, und vor allem ist auch sein Leistungsverzeichnis dabei.«
    Es war ein alter Berufsbrauch bei den Scharfrichtern, das Verzeichnis ihrer Hinrichtungen immer auf dem letzten Stand zu halten. Und es war eine Tatsache, daß Charles Henri Sanson alle Rekorde gebrochen hatte. Sein Leistungsverzeichnis zu besitzen, war eine unverhoffte Freude.
    Die Neuigkeit versetzte die Umstehenden in Begeisterung. Alle wollten das Endergebnis erfahren.
    »Als ich noch ein Kind war, hat mir mein Großvater immer erzählt, daß es mehr als tausend wären. Aber ich hatte immer Zweifel daran«, sagte der ehemalige Scharfrichter von Blois.
    »Wieviel? Sag schon, wieviel!« riefen alle ungeduldig durcheinander.
    Hippolyte blätterte in dem Heft und fand schließlich das Endergebnis. Die Zahl verschlug ihm die Sprache.
    » Zweitausendneunhundertachtzehn! «
    Man hörte den Wind in den Bäumen pfeifen, die die Krypta umstanden.
    Die Frauen hörten auf zu schwatzen und wandten sich zu den Männern um, die plötzlich schwiegen.
    Charles Henri hatte sich nicht damit begnügt, einfach nur die Namen derer aufzuschreiben, die er ins jenseits befördert hatte, sondern er hatte seine Zeit im Ruhestand dazu genutzt, sie nach Alter,

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