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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Léon, du träumst nur, und wenn du aufwachst, wird dieses ... dieses Ding verschwunden sein, so wie es sich für einen anständigen Alptraum gehört.«
    Aber die Postkarte verschwand nicht. Léon schleppte sich in das Hinterzimmer, wo er sich ein großes Glas Portwein einschenkte, das er in einem Zug leerte.
    »Ist irgend etwas passiert?« beunruhigte sich Hortense.
    »Das kann man wohl sagen.«
    Er schenkte sich ein zweites Glas ein. Da entdeckte auch Hortense die Postkarte und begriff. Oh, das Schlimmste war nicht die schändliche Anwesenheit ihres Schwiegervaters, dieses grauenvollen Casimirs und Saturnins, die neben dem Blutgerüst eindeutig zu erkennen waren, sondern der Text, der darunter stand. Eine einzige Zeile zerstörte die jahrelangen Anstrengungen, und sie hatten Tausende von Goldfrancs umsonst ausgegeben:
     
    BESUCHEN SIE DAS EINZIGARTIGE HISTORISCHE MUSEUM
    FÜR FOLTER UND HINRICHTUNGEN
    VON BELLEROCAILLE IM AVEYRON
     
    stand auf der Vorderseite, während man auf der Rückseite las:
     
    DAS HERRENHAUS - MUSEUM, WIEGE
    DER FAMILIE TROUVÉ-PIBRAC
    SCHARFRICHTER SEIT SIEBEN GENERATIONEN
     
    Trouvé-Pibrac!
    Dann folgte ein kurzer handgeschriebener Text. Hortense erkannte die Schrift ihres Schwiegervaters:
    Ihr seid herzlich zum Richtfest am Sonntag, den 1. September 1907 eingeladen. Diese Karte ist beim Eintritt vorzulegen.
    Trouvé-Pibrac.
     
    Die Postbotin teilte ihm mit, daß sein Vater sich nicht damit zufriedengab, Postkarten an die Honoratioren von Bellerocaille zu verschicken, sondern daß er auch die von Rodez, Albi, Toulouse, Montpellier, Nevers, Lille und ganz Frankreich einlud.
     
    » Es sind ungefähr einhundert pro Tag. Die Handschriften sind nicht alle gleich, ich habe drei verschiedene festgestellt.«
    Natürlich, Hippolyte, Casimir und Saturnin... und wenn die Hunde hätten schreiben können, hätte man auch sie noch angestellt!
     
    Die tüchtige und mitfühlende Postbotin schrieb eine Liste aller Namen. Sein Vater schien den Verstand verloren zu haben. Er verschickte jetzt auch Einladungen an die bekanntesten Konservatoren der Pariser Museen, an den Leiter des Amtes für Denkmalschutz, und auch an den Präsidenten der Republik Armand Fallières (und seine Frau), an die Nationalgarde, an den Staatsrat und an den Rat des Magistrats ebenso wie an alle amtierenden Minister (eine gemeinsame Einladung).
    Selbst Nicolas Malzac bekam eine. Unter der Unterschrift hatte Hippolyte hinzugefügt: »Ich trage es Ihnen (nicht) nach.«
    »Was führt er dieses Mal nur im Schilde?«
    »Wer soll eine solche Einladung schon ernstnehmen? Ein Henkersmuseum, nein, also wirklich! Niemand wird kommen, und das weiß er ganz genau! Er tut das nur, um uns zu quälen. Aber laß uns dieses Mal ausnahmsweise einfach keine Notiz davon nehmen! «
     
    Wie es die Bäckersfrau vorausgesagt hatte, nahm in Bellerocaille kein Mensch diese Einladung ernst. Sie wurde als eine weitere bedauerliche Provokation gewertet, und jeder versuchte, sie zu vergessen. Aber was Léon noch nicht wußte, war, daß Hippolyte auch alle ehemaligen Scharfrichter der Départements, ihre Familien und ihre Knechte eingeladen hatte. Und auch die ausländischen Scharfrichter waren zum Fest eingeladen, wie etwa der berühmte Hangman aus London, der Garotteur von Madrid, die Scharfrichter von Turin, Mailand und Rom, die von München, Linz und Berlin, von Brüssel, Lissabon, Tokio und selbst der von Djedda in Saudi Arabien, ein Meister des Krummschwerts und der Steinigung.
     
    Diese Einladungen wurden vorsichtshalber in Racleterre aufgegeben, was die vollkommene Überraschung der Be-
    wohner von Bellerocaille erklärte, als die Hälfte der Henker im Ruhestand der Einladung folgten und einzeln oder in kleinen Gruppen in der Stadt eintrafen.
    Die ersten kamen in drei Mietkutschen. Es waren die Scharfrichter von Pau, Tarbes und Auch in Begleitung ihrer Frauen, Kinder und der Knechte mit ihren Familien. Insgesamt waren es sechzehn Personen, die den gesamten ersten Stock der Herberge »Au Bien Nourri« belegten.
    Der Zehn-Uhr-Zug brachte die Familien aus Nizza, Sisteron, Draguignan und Brignoles, die den zweiten Stock der Herberge bewohnten. Wenngleich er äußerst zufrieden war, daß sich sein Haus füllte, empfand der Wirt diesen plötzlichen Zustrom außerhalb der Saison doch als merkwürdig.
    Die Familien aus Marseille und Toulon hatten sich in Montpellier mit denen aus Carcassonne, Béziers und Bordeaux getroffen und kamen am frühen Nachmittag

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