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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Maître Beaulouis berechtigt, seine Zellen mit zahlenden Gästen zu füllen, die seine Kinder bei Ankunft der Postchaise am Place Saint Laurent anwarben.
    Vor drei Monaten, am zweiten Sonntag im April, hatte die Wache ihm ein Gaukler-Trio übergeben, das zahlreicher Diebereien bezichtigt wurde. Einer von ihnen, ein junger, merkwürdiger Kauz von ungefähr zwanzig Jahren, war mit einer hölzernen Nase ausstaffiert gewesen, die mit Bändern in seinem Nacken gehalten wurde. Beaulouis hatte sie ihm sofort abgenommen. Dahinter kam eine klaffende, offene Stelle zum Vorschein, die an den Rändern etwas ausgefranst, aber schon seit langem verheilt war. Das beruhigte den Kerkermeister, der befürchtet hatte, es mit einem Aussätzigen zu tun zu haben.
    »Wer hat dir das getan?«
    » Ich weiß nicht, es passierte, als ich noch ganz klein war.«
    Das war mit Sicherheit nicht das Werk eines Henkers oder eines Folterknechts. Niemals hätte ein Fachmann bei seiner Arbeit derartig gepfuscht. Man hatte ihm die Nase nicht ordentlich abgeschnitten, sondern sie war ihm herausgerissen worden!
     
    Der Wachposten erklärte, sie wären zu dem gleichen Ergebnis gekommen, aber anfänglich hätten sie vermutet, er sei ein Deserteur. In der Tat schnitt man Deserteuren die Nase ab, allerdings erst, nachdem man ihnen die Ohren gestutzt hatte. Doch die Ohren des jungen Spitzbuben waren unter seiner langen braunen Mähne unversehrt.
    »Man hat sie wegen des Geschreis der Leute festgenommen. Sie prügelten sich mitten auf dem Markt, und als wir kamen, versuchten sie, sich aus dem Staub zu machen, aber wir kriegten sie zu fassen. Es waren noch zwei Weibsbilder bei ihnen, aber die sind uns entwischt. Als wir die drei hier zum Amtsgebäude des Prévôt brachten, haben mehrere rechtschaffene Bürger sie wiedererkannt. Daraufhin hat der Prévôt ihren Ochsen, ihren Esel, ihren Karren und alles, was darauf war, beschlagnahmt.«
    Beaulouis seufzte, als er sich ihre verdreckten und zerrissenen Kleider besah, die nicht viel wert waren.
    » Habt ihr denn überhaupt genügend Geld, um mich willkommen zu heißen?« fragte er sie ungehalten.
    Der »Willkommensgruß« war eine Gebühr von drei Sols, die der Kerkermeister von jedem Neuzugang eintreiben durfte.
    Die Spitzbuben senkten betrübt den Kopf. Sie hatten natürlich rein gar nichts.
    »Ich werde mich also am Sol des Königs schadlos halten. Doch laßt euch gesagt sein, da ihr nur einen Sol pro Tag bekommt, werdet ihr erst übermorgen wieder etwas zu essen kriegen. Es sei denn, die Barmherzigen Brüder zahlen für euch. Doch zur Zeit bekommt man sie recht selten zu Gesicht ... «
    Die Barmherzigen Brüder gehörten einem Orden an, der sich ausschließlich dem Wohlergehen der Gefangenen verschrieben hatte. Sie besuchten die Gefangenen regelmäßig und unterstützten mitunter die Bedürftigsten.
    »Hier entlang«, sagte der Beaulouis und deutete dabei ins Erdgeschoß des Turms, wo sich der Kerker befand.
    Bredin, der älteste Sohn Beaulouis' und der einzige, der die Gemeindeschule besucht hatte, saß über ein großes Verzeichnis gebeugt und malte mit ungelenker Schrift ihre Namen hinein. Dabei biß er sich vor Anstrengung auf die Zunge.
    Der junge Spitzbube mit der Nase aus Holz nannte sich Justinien Pibrac und sagte, daß er aus Clermont stamme. Der Kleine mit dem dreieckigen Gesicht, das voller Pockennarben war, hieß Baldomer Cabanon, er stammte aus Marseille und gab zwei Berufe an: Troubadour und Seiltänzer. Der letzte, Vitou Calamar, ein großer Dünner mit krummem Rücken und verschlagenem Blick, kam ebenfalls aus Marseille, bezeichnete sich als Jongleur-Akrobat und hielt sich bei allen Taten, die ihm zur Last gelegt wurden, für »vollkommen unschuldig«.
    Nachdem die Formalitäten erledigt waren, wurden die Gefangenen dem Kerkermeister überstellt. Der Wachposten band sie los, sammelte die Fesseln ein und ging mit einem Gruß davon. Bredin, Jacquot und Lucien übernahmen seine Aufgabe.
    Der Schließer zündete eine Harzfackel an und ging ihnen voran eine schmale Wendeltreppe im Innern des Kerkerturms nach unten.
    Im Gänsemarsch stiegen sie die rund vierzig Stufen hinab, die durch die Abnutzung im Laufe der Jahre schlüpfrig geworden waren, und gelangten in einen Raum, der lediglich von einem einzigen Sonnenstrahl erhellt wurde. Dieser fiel durch einen winzigen senkrechten Spalt in einem Rundbogen in der Mauer. Eiserne Ketten, Halsringe und Armspangen waren mit Haken an der Wand befestigt. Zwischen

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