Die rechte Hand Gottes
vergißt ganz, daß der einzige Weg, zwanzig Jahre auf einer Galeere zu überstehen, der ist, ein guter Ruderer zu sein. Da gute Ruderer aber kostbar sind, so wird man, wenn ihre Zeit abläuft, immer einen Vorwand finden, um sie weiter zu behalten. Was ich damit sagen will, ist, daß eine Verurteilung auf Zeit immer eine lebenslange Verurteilung ist.«
Justinien hielt es nicht für hilfreich, sich danach zu erkundigen, was mit den schlechten Ruderern geschah.
» Ich sage Euch noch einmal, daß ich mich gar nicht darauf verstehe, jemandem die Knochen zu brechen.«
» Ich sage dir doch, daß ich es dir beibringen werde ... Du wirst sehen, wenn du weißt, welche Stellen man treffen muß, ist es genauso leicht wie Holzhacken. Hast du schon mal Holz gehackt? Nun, es ist ähnlich. Also, bist du einverstanden?«
Die Mitglieder des Rates verstummten, als der Gerichtsdiener Maître Beaulouis ankündigte, der den an den Händen gefesselten Justinien vor sich herstieß.
Richter Cressayet erkannte den jungen Spitzbuben mit der falschen Nase wieder, der ihm mit seinen Unschuldsbeteuerungen in den Ohren gelegen hatte. Er runzelte die Stirn und nestelte an seinem Beffchen. Irgend etwas, das er nicht genauer fassen konnte, störte ihn.
Baron Raoul verzog enttäuscht das Gesicht. Das zerlumpte Aussehen des Anwärters, sein jugendliches Alter, diese falsche Nase und die Tatsache, daß er lediglich eine Sandale an den Füßen trug, mißfielen ihm.
» Einem Mann die Knochen zu brechen, ist keine Kleinigkeit«, sagte er zum Kerkermeister gewandt. »Ist dieses Bürschchen dazu überhaupt in der Lage?«
» Er wird es sein, edler Baron. Ich habe gesehen, wie Maître Pradel aus Rodez arbeitet, ich werde es ihm zeigen«, behauptete Beaulouis zuversichtlich.
Justinien fragte sich gerade, ob der Zeitpunkt geeignet sei, sein Gnadengesuch zu erwähnen, das unbeantwortet geblieben war, als der Baron einen Strahl Kautabak ausspuckte und sich erhob; ihm folgte ein Knabe, der wohl sein Sohn war, denn die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend. Er sah mit Sorge, daß sie beide näherkamen, senkte den Blick und machte sich auf das Schlimmste gefaßt. Sie umkreisten ihn,
so wie man einen Gaul umkreist, von dem man noch nicht sicher sagen kann, ob man ihn kaufen will.
» Sag uns, Bauernlümmel, warum hast du nur einen Schuh an?« fragte ihn schließlich der Baron.
Justinien sah auf. Ihre Blicke begegneten sich. Die Augen des Adeligen lagen noch tiefer in seinen Augenhöhlen als sonst.
»Eine Ratte hat den anderen gefressen, edler Baron.«
Guillaume, der Sohn, interessierte sich mehr für die Nase aus Holz und fragte höflich, ob er sie sich genauer ansehen dürfe. Justinien band sie ab und reichte sie ihm.
Der Knabe drehte sie zwischen seinen Fingern hin und her und musterte prüfend jedes noch so kleine Detail.
»Sie ist nicht gut gearbeitet.«
»Das stimmt, aber ich habe sie sehr schnell angefertigt, ich hatte nicht die Zeit, sie fein auszuarbeiten. Und außerdem ist es kein gutes Holz.«
Guillaume gab ihm seine Nase zurück, und er band sie sich schleunigst wieder um. Der Baron war zu seinem Platz zurückgekehrt und erklärte nun:
» Da dieser Schmutzfink meine hohe Gerichtsbarkeit vertreten soll, ist es wenig passend, wenn er wie eine Vogelscheuche aussieht. Er ist dreckig und stinkt wie eine Latrine. Er möge ein Bad nehmen und am Tag der Hinrichtung - den ich übrigens auf morgen festsetze, denn diese Angelegenheit duldet keinen weiteren Aufschub - anständig gekleidet erscheinen.«
Über Beaulouis' Gesicht ging ein breites Lächeln, Justinien entspannte sich. Er war angenommen worden und würde nicht Galeerensträfling werden!
Während der Kerkermeister seine Ketten öffnete, indem er die Schäkel mit der Zange herauszog, legte Duvalier, der Beisitzer, dem Baron das Schreiben vor, in dem das Vergehen für nichtig erklärt wurde, außerdem das Begnadigungsschreiben, mit dem die Verurteilung aufgehoben wurde, und das Schreiben, welches Justinien dazu befugte, das Amt des Scharfrichters in Bellerocaille für einen Tag auszuüben.
Der Siegelsetzer zündete seine Kerze an und ließ von einem Stäbchen dicke Tropfen roten Wachses auf jedes der Dokumente laufen. Der Baron drückte das Siegel der Boutefeux' hinein, das er an seinem linken Mittelfinger trug, dann verließ er den Rat und überließ es seinem Richter und seinem Prévôt, sich um die Einzelheiten zu kümmern. Guillaume folgte ihm; er mußte kleine Schritte machen, um auf
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