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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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der Schießscharten aufzustützen und seinen Blick über die Dächer, die Mauern aus rosafarbenem Sandstein, den Fluß und seine alte Brücke schweifen zu lassen, bis hin zu dem großen Dolmen, den man trotz der Entfernung inmitten der Wegkreuzung erkennen konnte, über die er drei Monate zuvor völlig ahnungslos gekommen war.
    Eines Tages würde er von dort die Kette näherkommen sehen, und damit wäre dieses Dasein, das gerade erst begonnen hatte, vorbei. Es sei denn, der Schließer würde in der Zwischenzeit eine Lösung finden, die nicht darin bestand, ihm wieder irgendwelche Knochen zu brechen. Oder er würde fliehen.
     
    Es war mitten im Monat der Ernten, als die Honigbienen aus dem Bienenstock am Ufer entlangzogen, von dem unwiderstehlichen Drang getrieben, alle Drohnen niederzumetzeln. Ein paar Tage darauf beging Pierre Galine das, was in den Gerichtsakten des Rouergue als Präzedenzfall unter »kulinarischer Kindsmord« verzeichnet werden sollte.
    Die Gefangennahme Galines entpuppte sich auf Anhieb als wahrer Goldregen für seinen Kerkermeister. Kaum hatte Beaulouis ihn in Empfang genommen, da trommelten schon die ersten Neugierigen an das Tor und baten inständig, »gleichgültig, was es koste«, eingelassen zu werden. Er entsprach also lediglich dem allgemeinen Wunsch, wenn er Galine allein in einer Zelle im ersten Stock ankettete und Besuche gegen ein Entgelt ermöglichte.
    Angesichts des Erfolgs seiner Idee und der Dreistigkeit einiger Leute mußte er seinen Mörder schützen, indem er zwischen ihm und dem Besucherstrom eine Barriere errichtete. Beaulouis hatte außerdem die gute Idee, sich durch einen Siegelsetzer bei Gericht den Text des Urteils zu beschaffen, das er dann von Justinien wieder und wieder abschreiben ließ. Er verkaufte die Abschriften für fünf Sols das Stück, und sie fanden genauso reißenden Absatz wie die Ablässe sonntags nach dem Hochamt.
    Als er erfuhr, daß der Henker aus Rodez unabkömmlich war und man den aus Albi nicht hatte erreichen können, erhöhte er den Besucherpreis und verlangte drei Liards pro Person (der Preis, den man für eine ganze Nacht mit einer Metze aus der Rue des Branlotins zahlen mußte). Zuvor hatte er noch die Luken vestopft, so daß die Zelle im Halbdunkel lag, und er von den Besuchern einen Aufschlag für die Fackeln verlangen konnte.
     
    Das Gericht erklärt Pierre Galine rechtmäßig des gemeinen, abscheulichen und verachtungswürdigen Verbrechens des kulinarischen Kindsmordes an der Person des Kindes Désiré Crespiaget für erwiesen und überführt. Als Sühne wird besagter Galine dazu verurteilt, auf den Place du Trou verbracht zu werden, wo man ihm auf einem Schafott, das dortselbst errichtet wird, die Arme, Schenkel, Beine und das Kreuz bei lebendigem Leibe langsam brechen wird. Anschließend wird er, mit dem Gesicht gen Himmel, auf ein Rad
    gespannt, um seine Tage derart und so lange zu beschließen, wie es unserem Herrn beliebt, ihn in diesem Zustand zu belassen.
    Justinien beendete gerade seine achte Abschrift seit Terz, als Beaulouis in seine Zelle trat und sich, mit ungewöhnlich nachdenklicher Miene, am Ellenbogen kratzte.
    »Ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, wie du der Galeere entgehen kannst.«
    Justinien fuhr hoch.
    »Kommt die Kette früher? Naht sie bereits?«
    »Nein, sei unbesorgt sie wird nicht vor dem Michaelstag hierherkommen. Hör mal, wenn du in meinen Handel einwilligst, dann verwende ich mich für dich bei Richter Cressayet dafür, daß er deine Begnadigung erwirkt.«
    »Wenn ich in was einwillige?«
    »Es ist ganz einfach. Der Prévôt hat noch immer keinen Henker für Galine gefunden. Er bietet jedem Freiwilligen eine Prämie von fünfzig Livres. Melde dich, und wenn der Baron dich nimmt, teilst du dir mit mir die Prämie, schwörst auf die Bibel, daß du nach deiner Begnadigung die nächsten zehn Jahre mein Schreiber sein wirst, und du bist vor den Galeeren gerettet.«
     
    Die törichte Hoffnung, die gerade in Justinien aufgekeimt war, schwand sofort wieder.
    » Ihr beliebt zu scherzen, Maître Beaulouis. Wie kommt Ihr auf den Einfall, daß ich jemanden rädere? Niemals wäre ich dazu ... Ich habe noch nie jemanden eigenhändig getötet, nicht einmal ein Huhn, gerade mal eine Ratte.«
    Der Kerkermeister - erleichtert, Argumente zu hören, die praktischer und nicht moralischer Natur waren - versuchte sich als Schmeichler.
    »Denk doch nach, mein Junge. Das ist eine einmalige Gelegenheit, der Galeere zu entgehen. Du

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