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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Dort hatten sie sich eine Feluke verschafft und waren nach dreiwöchiger Irrfahrt schließlich halb verdurstet in Zypern angekommen. (» In der Zeit, als unser Boot so dahintrieb, hat Pibrac seinen Namen auf dem Griff eingeritzt. Er hat dazu eine Harpunenspitze benutzt, die wir auf dem Boot gefunden hatten. Während der letzten Tage waren wir so durstig, daß wir unseren eigenen Saft getrunken haben. Das schmeckte nicht sonderlich, das kann ich dir versichern, aber ich hätte alles getrunken ... Da, hol mir lieber einen Krug Rotwein, anstatt so ein Gesicht zu ziehen.«)
    Da sie erst einmal von der Seefahrt genug hatten, gingen Martin und Jules an Bord eines Pilgerschiffes, das gerade aus dem Heiligen Land kam, mit der festen Absicht nach Hause zurückzukehren und Soldaten zu werden.
    Während der Überfahrt wurde Pibrac von einer äußerst schmerzhaften Entzündung der Gedärme niedergeworfen, die ihn innerhalb von zwei Tagen dahinraffte. Martin hatte ihn in ein Tuch gehüllt und seinen Leichnam darin eingenäht. (» Ich habe den Faden mit seinem Messer durchtrennt. Und ich war es, der die Planke angehoben hat. Gewöhnlich treibt der Körper erst noch etwas auf dem Wasser, bevor er untergeht, aber bei ihm war das anders, er ist wie ein Stein untergegangen, so als würde man gehen, ohne sich vorher noch einmal umzudrehen. Das hat mir das Herz zerrissen, ich hatte das Gefühl, ein Waisenkind geworden zu sein.«)
    Martin war nach Roumégoux zurückgekehrt, aber er war nicht Soldat in irgendeiner Armee geworden. Eine Zeitlang hatte er sich unentschlossen treiben lassen, bis er schließlich Éponine geheiratet hatte, die jüngste der Töchter Navechs, des Kerzenziehers. Sie hatten einen Sohn, der nur wenige Tage lebte. Damit Éponine ihre Milch hergeben konnte, wurde sie Amme.
    Und dann eines Tages, besser gesagt eines Abends, war der Großwächter Melchior Fendard zu ihnen gekommen und hatte einen großen Weidenkorb auf den Tisch gestellt. Als Éponine entdeckte, was sich darin verbarg, mußte sie überrascht schlucken.
    »Bei den Brüsten der Heiligen Agathe! Wer kann nur so etwas Abscheuliches tun?«
    »Wir haben es so gefunden. Es muß gerade passiert sein. Unser Heilkundiger hat die Wunden ausgebrannt. Was ich nicht verstehe, ist, wieso es, nach allem, was es durchstehen mußte, ruhig weiterschlafen kann.«
    Éponine nahm das Neugeborene aus dem Korb, um sich zu vergewissern, daß es keinen Pferdefuß hatte und ihm auch kein Horn aus der Stirn wuchs.
    » So ein schönes, pausbäckiges Kindchen! Es ist zum Gotterbarmen, daß man es so entstellt hat.«
    Plötzlich verhärteten sich die Gesichtszüge der Amme. Sie beugte sich über das Bübchen und schnupperte an ihm, bevor sie dann mit gestrenger Stimme meinte:
    » Es ist nicht weiter verwunderlich, daß es so gut schläft, es stinkt nach Schnaps.«
    Der Großwächter war zusammengefahren:
    »Nach Schnaps? Was redest du da, meine Tochter?«
    »Die reine Wahrheit, Monseigneur. Ich sage, daß dieses Kind völlig betrunken ist. Man hat es an einem Stück Stoff, das mit Rum getränkt war, saugen lassen. So machen es die liederlichen Mütter, wenn sie des Nachts nicht geweckt werden wollen.«
    Ungeachtet all dieser ungewöhnlichen Begleitumstände hatte Éponine eingewilligt, das Kind zum üblichen Preis von monatlich fünf Livres in ihre Obhut zu nehmen. Großwächter Melchior war sehr ungehalten in das Kloster zurückgekehrt, weil er nun ein Kind getauft hatte, das betrunken gewesen war, und er fragte sich einmal mehr, wer wohl seine Eltern waren. Als man das Kind gefunden hatte, war es, bis auf ein besticktes Taschentuch um seine Schenkel, nackt gewesen. Darauf hatte jemand mit Holzkohle »Verzeiht« geschrieben.
    Zu jener Zeit schneuzte sich das gemeine Volk in die Finger, die Bürgerlichen in die Ärmel und nur Adelige und die Geistlichkeit benutzten Taschentücher. Die Qualität des Tuches, mit dem der Korb ausgeschlagen war, die feine Stickerei auf dem Taschentuch, die Tatsache, daß der Reiter oder die Reiterin, schreiben konnte, hatte den Großwächter annehmen lassen, daß es sich nur um einen Bastard von hohem Stande handeln konnte, dessen Geburt in dieses Jammertal eher Kummer als reine Freude bescherte. »Man« hatte sich nicht dazu durchringen können, das Kind zu töten, also hatte »man« es vor dem Klosterportal ausgesetzt... Aber warum war es so grauenhaft entstellt worden? Damit es später seinem Erzeuger nicht ähnlich sah? Und warum die Nase? Abbé

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