Die Regenbogentruppe (German Edition)
mehr, dass er etwas verrückt war, denn er war genial. Das hatten wir erst begreifen müssen.
Obwohl wir gemeint hatten, normaler zu sein als er, obwohl wir uns etwas darauf zugutegehalten hatten, immer offen und ehrlich zu sein, hatten wir bisher nichts zum Ruhm unserer Schule beigetragen. Mahar hingegen, so seltsam er sich auch benahm, so abwegige Ansichten er vertrat, würde als Erster für seine ruhmreichen Verdienste um unsere Schule in die Geschichte eingehen.
Zum Abschluss der kleinen Dankesfeier wurden Fotos gemacht. Bu Mus hatte extra einen Fotografen bestellt. Wir stellten uns links und rechts vom Glasschrank in Positur und lächelten, natürlich zeigte Harun das breiteste Lächeln. Mit den Aufnahmen wollten wir Mister Samadikun zeigen, dass auch wir Pokale gewinnen konnten.
*
Bu Mus hatte uns – von sich aus wie auch im Namen der Schule – eine Belohnung versprochen, wenn wir einmal ein herausragendes Zeugnis bekämen oder sonst eine besondere Leistung zeigen würden. Wir durften dann einen beliebigen Wunsch äußern, solange er im Rahmen des Erfüllbaren blieb. Nun hatte sich Mahar diese Auszeichnung verdient.
»Was hättest du denn am liebsten, mein Junge?«
Mahar freute sich unbändig. Er griff in seine Tasche und holte eine Papierrolle heraus.
»Was ist denn das?«, wollte Bu Mus wissen.
Mahar entrollte sie und zeigte lächelnd das Poster von Bruce Lee, auf dem er mit dem Nunchaku in der Hand als wütender Drache posiert. Wir wussten, was nun kommen würde. Mahar hatte schon wiederholt Bu Mus um Erlaubnis gebeten, dieses Poster in der Klasse aufhängen zu dürfen. Nun sah er seine Chance gekommen.
Bu Mus war bestürzt.
»Hast du denn keinen anderen Wunsch?«
Mahar schüttelte den Kopf. Bu Mus war ratlos.
»Bestimmt nicht? Wirklich nichts anderes?«
Mahar schüttelte wieder den Kopf.
»Zum Beispiel einen Monat lang davon befreit sein, den Schulgarten zu gießen?«
Mahar zeigte sich unbeeindruckt.
»Nicht zum Kreidekaufen geschickt werden?«
»Das Schicksal ist ein Kreislauf, Ibunda Guru , glauben Sie mir, es kommt der Tag, an dem uns Bruce Lee von Nutzen sein wird.«
Und auf diese Weise – ruhig, philosophisch und reinen Herzens – gelang es Mahar, Bu Mus zu überzeugen.
Am nächsten Tag hing tatsächlich Bruce Lee in der Klasse. Allerdings mit einem ganz anderen Bild. Es zeigte ihn nicht im Kampf, sondern lächelnd in einem traditionellen chinesischen Gewand. Sein Lächeln war genauso gewinnend wie das von Rhoma Irama an seiner Seite.
Es war wirklich großartig. Der Meister des Kung-Fu und der Meister des Dangdut wachten nun über uns. Wenn man die beiden genau betrachtete, dann fiel einem eine Gemeinsamkeit auf. In ihrem Blick lag etwas Melancholisches, gleichzeitig aber der feste Wille, alles Böse auf dieser Welt zu bekämpfen.
Ein altes malaiisches Sprichwort sagt, Gutes bringt Gutes hervor. Und in der Tat, der Pokal gab uns in jeder Hinsicht Auftrieb. Erfreulich war auch, dass mit dem Karnevalspreis eine kleine Geldspende verbunden war. Damit konnten wir die Bedingungen von Mister Samadikun erfüllen: Wir kauften eine neue Tafel und eine Notapotheke. Die füllte Bu Mus mit APC-Pillen und Wurmmittel. Den Rest verwendeten wir, um bei Cahaya Abadi , dem Laden für Lehrmittel in Tanjung Pandan, ein Bild des Präsidenten, seines Stellvertreters und des Garuda Pancasila zu bestellen.
*
Wie herrlich waren die Tage nach unserem Triumph. Wir sahen uns den Pokal immer wieder von allen Seiten an und sprachen ständig davon. Doch bei aller Euphorie wurde ich plötzlich von einem Gefühl der Leere übermannt.
Überhaupt fühlte ich mich in letzter Zeit mitten in der fröhlichen Gemeinschaft plötzlich einsam. Ich sonderte mich von meinen Freunden ab und zog mich unter das Filicium zurück. Ich hatte keine Lust, mit den anderen zusammen zu sein und mit ihnen zu sprechen. Meine Gedanken verschwanden im Laub des Filicium, trieben mit den Wolken dahin, wussten nicht wohin. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Ich verfiel in Tagträume, schlief schlecht, hatte keinen Appetit. Mich befielen sonderbare Gefühle, wie ich sie vorher nicht kannte – ich hatte die Sehnsucht kennengelernt.
Jeden Tag überkam mich die Sehnsucht nach dem Mädchen mit den schönen Fingernägeln. Das Atmen fiel mir schwer. Ich sehnte mich nach ihrem Gesicht, nach ihren hübschen Fingernägeln, nach dem Lächeln, mit dem sie mich angesehen hatte. Ich hatte sogar Sehnsucht nach ihren Holzsandalen. Sehr bald merkte
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