Die reinen Herzens sind
könne sie die Zukunft darin lesen. Marge schätzte sie auf Mitte Zwanzig. Sie hatte einen hellen Teint und sandfarbenes, schulterlanges Haar, zarte Züge in einem breiten Gesicht mit einer etwas platten Nase und ein gewinnendes Lächeln. Mit etwas Make-up war sie sicher recht hübsch anzusehen. Im Augenblick jedoch wirkte sie eher wie ein Mauerblümchen. Marge zückte ihren Notizblock.
»Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen helfen kann«, begann Paula. »Marie und ich sind Freunde. Trotzdem weiß ich nicht viel von ihr. Wir haben viel geredet. Weil ich Probleme hatte. Und wir haben hauptsächlich von mir gesprochen.«
»Probleme? Inwiefern?«
»Ist das wichtig?«
»Könnte sein. Wer weiß? Wir wollen Marie und das Baby finden«, betonte Marge.
Paula erschauderte. »Mein Gott, was für eine schreckliche Geschichte!«
»Wie haben Sie Marie kennengelernt?«
»Ich war bei ihr Lernschwester im Sun-Valley-Presbyterian-Hospital. Dort habe ich ein Jahr lang in der Geburtshilfe und auf der Station für Neugeborenen-Medizin gearbeitet, bevor ich auf Kinderschwester umgesattelt habe. Ich liebe Kinder. Genau wie Marie. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Marie je einem Kind was zuleide tun würde.«
»Wer sagt, daß sie einem Kind etwas getan haben könnte?«
»Sie würde das einer Mutter nicht antun. Ich kenne Marie. Sie mag die jungen Mütter.«
»Wie kam es, daß Sie und Marie Freundinnen geworden sind?« fragte Marge. »Soviel ich gehört habe, ist Marie nicht unbedingt der gesellige Typ.«
»Nein, ist sie auch nicht. Aber deshalb ist sie trotzdem nett. Partys sind nicht ihr Ding. Wir haben einfach nach dem Dienst zusammengesessen und geredet. Sie hat meistens Kaffee gekocht …« Paula wirkte in Gedanken verloren. »Wir haben uns unterhalten. Ich hatte Probleme mit meinem Ex-Freund, er wollte sich nicht binden. Das alte Lied.«
Marge nickte verständnisvoll. Obwohl eine feste Bindung das letzte war, was sie vom Leben erwartete. Pete schien in seiner neuen Ehe glücklich zu sein. Aber Pete war auch vorher nicht unglücklich gewesen. »Sie und Marie haben also über Ihren Freund gesprochen?«
»Ja. Marie war sehr hilfsbereit. Nicht daß wir immer einer Meinung gewesen wären. Wir hatten ziemlich heftige Auseinandersetzungen über Gott.«
»Gott?«
»Ja, Marie ist sehr Jesus-gläubig. Sie mochte vor allem die biblische Geschichte von dem Verlorenen Sohn.«
»Dem reuigen Sünder.«
»Richtig. Sie hat immer behauptet, jeder hätte eine Leiche im Keller.«
»Hat Marie ihre Leiche im Keller genauer definiert?«
»Eigentlich nicht. Sie hat selten über sich gesprochen. Wir hatten zuviel mit meinen Problemen zu tun.« Paula konzentrierte sich wieder auf ihre Kaffeetasse. »Marie konnte verständnisvoll sein, selbst wenn …« Sie tupfte sich mit der Serviette die Augen. »Entschuldigung. Die Erinnerung … geht mir an die Nieren.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
»Ich wurde schwanger von meinem Ex-Freund.« Ihre Stimme wurde leise. »Damals war er natürlich nicht mein Ex. Daran ist der Streit über Heiraten oder nicht Heiraten natürlich entbrannt.«
Marge nickte.
»Er wollte nicht heiraten. Er wollte kein Kind. Er hat gesagt, er sei zu jung. Dabei hat er im letzten Semester Medizin studiert. Er hätte … Jedenfalls, als ich ihm gesagt habe, daß ich das Kind behalten wolle, ist er fast durchgedreht. Er hat mir gesagt, daß ich von ihm keine Hilfe erwarten könne, er sei zu jung, um sich zu binden. Zwei Monate später hat er sich mit einer Studienkollegin verlobt.« Sie begann zu weinen. »Damit war klar, daß er nicht prinzipiell was gegen Bindungen hatte, er hatte nur was gegen mich!«
Marge wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Sie war sich nicht klar darüber, ob die Geschichte wichtig war.
»Marie hat mir sehr geholfen.«
»Sie konnten sich bei ihr ausweinen?«
»Und mehr. Wir wurden sehr vertraut. Sie hat mich sogar eingeladen, zu ihr zu ziehen, wenn ich bei fortgeschrittener Schwangerschaft Hilfe bräuchte. Ich bin aus Des Moines. Mit meiner Familie verbindet mich nicht viel. Schwanger und ohne Mann nach Hause zu kommen – das wäre unmöglich gewesen. Ich war so verdammt allein. Marie war einfach wunderbar. Niemand hätte fürsorglicher sein können. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die leben, was sie predigen.«
»Sind Sie zu ihr gezogen?«
Paula schüttelte den Kopf. »War nicht nötig. Ich hatte im vierten Monat eine Fehlgeburt.« Sie lächelte unter Tränen. »Mein Ex-Freund hat
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