Die reinen Herzens sind
Maries Anrufbeantworter für sie abgespielt. Eine der Anruferinnen hatte eine heisere, gehetzte Stimme gehabt. Das konnte sie gewesen sein. Sie sah von ihrem Notizblock auf. »Kennen Sie den Namen des Pflegeheims?«
»Nein. Tut mir leid. Ich habe ein sehr schlechtes Namensgedächtnis.«
»Aber es ist in Arcadia?«
»War es jedenfalls noch vor sechs oder sieben Monaten.«
»Dann kamen die einzigen Anrufe, die Sie mitbekommen haben, immer nur von Maries Mutter?«
»Soviel ich mich erinnere, ja.«
»Hat sie je von einer Dotty gesprochen?« wollte Marge wissen.
»Dotty … Meinen Sie vielleicht Dody?«
»Möglich. Wer ist Dody?«
»Die Sekretärin von der Rentenabteilung des Sun Valley Hospitals. Sie hat mich öfter angerufen, um sich mein Gehalt, Abzüge etc. bestätigen zu lassen. Sie ist am Sun Valley Pres eine Institution.«
»Eine Freundin von Marie?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Sie kennen also außerhalb des Krankenhauses niemanden, mit dem sie befreundet war?«
»Sie ist immer sehr nett zu den neuen Lernschwestern. Ein richtiger Schatz. Vielleicht hatte sie wieder jemanden unter ihre Fittiche genommen. So wie mich damals. Keine Ahnung.«
»Hat Marie je angeboten, sich um Ihr Baby zu kümmern?«
Paula runzelte die Stirn. »Sie hat gesagt, ich könne bei ihr wohnen. Das war alles.«
»Hatten Sie je das Gefühl, Marie hätte Ihr Kind gern wie ihr eigenes großgezogen?« bohrte Marge weiter.
»Nein, Detective. Sie wollte einfach nur helfen. Wie sie allen Menschen helfen möchte. Das ist Maries Tick. Sie hat ein großes Herz.«
»Sie beschreiben sie als einen Menschen, der viel gibt. Aber angeblich hatte sie keine Freunde.«
»Ja, komisch. Aber so ist es.«
»Hat sie denn nie eine Postkarte bekommen? Ich meine, von jemandem aus dem Urlaub?«
»Warten Sie!« Paulas Augen leuchteten. »Sie hat eine Karte zu Weihnachten bekommen. Sie hatte sie auf ihren Couchtisch gestellt. Sie fiel mir auf, weil das die einzige Weihnachtskarte war, die sie offenbar erhalten hatte. Sie hat gesagt, sie sei von einer alten Freundin. Das hatte ich völlig vergessen.«
»Wer hat ihr diese Karte geschickt?«
»Sie meinen den Namen? Ich habe ein katastrophal schlechtes Namensgedächtnis.«
»Denken Sie nach, Paula. Bitte!«
Paula schloß die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Es war ein komischer Name. Ungewöhnlich. Mehr weiß ich nicht.«
»Danke, Paula.« Marge klappte ihren Notizblock zu. »Falls Ihnen der Name oder sonst noch was einfallen sollte …«
»Rufe ich an. Haben Sie eine Karte?«
Marge gab ihr ihre Visitenkarte. »Melden Sie sich bei mir oder bei meinem Kollegen, Detective Sergeant Peter Decker. Ich schreibe seinen Namen hinten drauf.«
»Das ist gut. Mein Namensgedächtnis ist wirklich schlecht.«
»Für Sie müßten wir wohl alle John Doe heißen, oder?«
»Wäre nicht schlecht. Oder zumindest Bob …«
Paula hielt abrupt inne. »Was ist?« fragte Marge.
»Ihr Nachname war Robert … Sie hieß Susan Robert … oder so ähnlich.«
»Na, das ist doch schon mal was.«
»Warten Sie … Susan stimmt nicht. Es war …«
»Cecilia? Sondra? Serita?« versuchte Marge es.
»Sondra«, sagte Paula unvermittelt. »Der Name auf der Karte war Sondra Robert.«
»Sicher?«
»Ziemlich sicher.« Paula strahlte. »Vielleicht wird mein Namensgedächtnis besser.«
Marge stand auf.
Decker betrachtete eingehend die Vorderseite der Weihnachtskarte. Eine Schneelandschaft mit einem Bauernhaus, aus dessen Kamin Rauch aufstieg. Auf der Innenseite standen die Worte: Über den Fluß und durch den Wald. Ein frohes Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr. Die Unterschrift lautete groß und schwungvoll: Sondra Roberts. Kein »In Liebe« oder »Herzlichst« oder etwas Ähnliches. Nur die Unterschrift. »Und Paula behauptet, das sei die einzige Weihnachtskarte gewesen, die Marie aufgestellt hatte?«
»Die einzige, an die sie sich erinnern konnte.« Marge setzte sich auf Maries Couch. »Wo hast du sie gefunden?«
»In der Schublade bei ihrem Briefpapier. Ist der einzige persönliche Gegenstand, den ich finden konnte.«
»Eine Kassette gibt’s hier nicht«, fügte Cindy hinzu. »Auch keinen Wandsafe und kein Geheimfach.«
»Sie muß doch irgendwo ein Fotoalbum haben«, sagte Marge. »Jeder hat so was.«
»Es sei denn, jemand versucht, seine Vergangenheit zu vergessen«, überlegte Decker.
»Die verlorene Tochter«, sagte Marge. »Warum hat sie dann die alten Skripte behalten?«
»Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher