Die reinen Herzens sind
Die Schlamperei von einst hatte sich bitter gerächt.
Besonders aufwendig waren die Sicherheitsmaßnahmen vor Lourdes Rodriguez’ Zimmer. Einen zwingenden Grund dafür vermochte Decker nicht zu erkennen. Oder drohten die Kidnapper damit, auch noch die Mutter zu entführen? Das wäre eine völlig neue Variante gewesen. Decker nahm an, daß das Krankenhaus auf diese Weise eher die Presse in Schach zu halten versuchte. Eine verzweifelte Mutter war kein gutes Aushängeschild für ein Krankenhaus.
Ein bulliger Wachmann blockierte die Tür zu Lourdes’ Zimmer. Decker wollte schon seinen Dienstausweis zücken, als Georgina, Rinas Hebamme, ihm zuvorkam.
»Schwierigkeiten mit dem Herrn hier, Detective?« Georgina wandte sich an den Wachmann, bevor Decker antworten konnte. »Lassen Sie ihn passieren. Der Mann hat schon genug durchgemacht.« Sie sah Decker besorgt an. »Wie geht es Rina? Es tut mir so leid, daß das alles passieren mußte.«
»Danke für Ihr Mitgefühl, Georgina.« Decker sah zu Boden. »Rina geht es soweit gut. Und die Kinderschwester, die Sie uns empfohlen haben, macht ihre Sache gut.«
»Nora bewährt sich also?«
»Sehr sogar.«
»Ein Glück! Diese schreckliche Geschichte hat uns alle betroffen gemacht.« Sie erschauderte unwillkürlich. Dann zog sie die Jacke ihrer Schwesterntracht glatt. »Aber da müssen wir durch. Die Arbeit ruft, Detective. Es gilt die Moral aufrechtzuerhalten.«
»Kein einfaches Unterfangen.«
»Einfach im Vergleich mit Ihrer Aufgabe, Detective. Passen Sie gut auf sich und ihre reizende Familie auf.«
»Vielen Dank für alles, Georgina.«
Die Hebamme winkte ihm zu und marschierte den Gang entlang davon.
Lourdes Rodriguez war wach. An ihrem Bett saß ein muskulöser junger Mann spanischer Abstammung. Er hatte einen olivfarbenen Teint und Pausbacken. Seine dunklen Augen waren groß und von langen Wimpern beschattet, die Lippen rot und feucht glänzend. Er trug ein schmales Oberlippenbärtchen. Neben der zierlichen Lourdes wirkte er wie ein Koloß. Lourdes hatte ihr Kinn auf die Knie gelegt. Der Teenager mit dem langen, schwarzen Haar wirkte sehr zerbrechlich.
Der junge Mann sah Decker wütend an. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß wir nichts unterschreiben, Mann! Lassen Sie uns in Ruhe!«
Deckers Blick schweifte von dem jungen Mann zu Lourdes, die sich nicht gerührt hatte. Er machte die Tür hinter sich zu und lehnte sich gegen die Wand.
»Ich bin von der Polizei.«
Der junge Mann blinzelte und senkte die Stimme. »Sie sehen wie ein Anwalt aus, wie einer ihrer Anwälte. Ich dachte, Sie wollten uns überreden, diese verdammte Vereinbarung zu unterschreiben. Ich bin vielleicht kein Genie, aber blöd bin ich auch nicht.«
Lourdes hob langsam den Kopf. »Haben Sie mein Baby gefunden?«
Als Decker den Kopf schüttelte, verbarg Lourdes das Gesicht in den Händen. Ihre Schultern bebten. Sie weinte lautlos. Der junge Mann legte einen Arm um sie.
Der Blick des jungen Südamerikaners wurde eisig. »Wozu seid ihr Bullen eigentlich nütze? Halbe Kinder auf den Straßen verprügeln, das könnt ihr. Aber das ist auch alles, was?«
Lourdes wies ihren Freund hastig auf spanisch zurecht. Bevor der junge Mann antworten konnte, kam Decker ihm zuvor.
»Ich will Ihnen helfen. Falls Sie Geheimnisse vor mir haben, unterhalten Sie sich nicht auf spanisch. Das verstehe ich ziemlich gut.« Er wandte sich an den jungen Mann. »Sie sind Matthew Lopez? Der Vater des Kindes?«
Der junge Mann nickte.
»Detective Sergeant Decker.« Er streckte die Hand aus. »Tut mir alles sehr leid. Ich tue, was ich kann. Aber das ist im Augenblick leider nicht viel.«
»Scheint so.«
Lopez sah Deckers Hand zögernd an, dann schlug er ein. Lourdes musterte ihn verblüfft. »Sie sind Cindys Vater?«
»Ja.«
»Matty, er ist der Polizist, von dem ich dir erzählt habe. Seine Frau hat zur selben Zeit wie ich ein Baby bekommen.« Sie schluchzte lautlos auf. Lopez wandte den Blick nicht von Decker.
»Sie haben gerade ein Baby gekriegt?«
»Meine Frau. Nicht ich.«
»Sie sind alt, Mann!«
»Matty, sei nicht so unhöflich!«
»Mann, der ist so alt wie mein Vater. Jeweils drei Kinder von drei verschiedenen Frauen, von den Bälgern aus seinen Seitensprüngen gar nicht zu reden.«
Decker klopfte Matty auf die Schulter.
»Habt ihr die verdammte Schwester gefunden, die mit meinem Kind durchgebrannt ist?« wollte Matty wissen.
»Möglicherweise.«
Lourdes Augen wurden groß. »Wo ist sie?«
»Eine
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