Die reinen Herzens sind
sich entdeckt hatte, hat sie sich da von Marie distanziert?«
»Das weiß ich nicht. Ich kann nur eines sagen: Wer beim Bodybuilding Blut geleckt hat, reduziert die sozialen Kontakte auf ein Minimum. Bodybuilding frißt einen mit Haut und Haaren. Es bestimmt dein Leben. Angefangen bei deiner Ernährung, wie oft du schläfst bis hin zu der Art, wie du dich bewegst. Es ist wie ein Dämon, Detective, es beherrscht dich.«
»Hat Marie sich je wieder bei Ihnen nach Tandy erkundigt, nachdem sie hier ausgeschieden war?«
McKay dachte nach. »Vielleicht ein- oder zweimal. In welcher Beziehung die beiden jetzt zueinander stehen, weiß ich nicht. Ich sehe Tandy regelmäßig, aber wir reden nicht viel miteinander. Tandy hat sich sehr verändert. Wenn wir uns unterhalten, dann nur über Muskeltraining und Diäten. Nie über Persönliches.«
»Ich versuche, Tandy bei Silver’s zu erwischen, Leek. Bitte, rufen Sie sie nicht vorher an. Ich möchte die junge Frau nicht beunruhigen. Sonst denkt sie, sie sei in Schwierigkeiten. Dabei geht es nur um Marie Bellson.«
»Und um das entführte Baby.« McKay zögerte. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Marie Bellson einen Säugling entführt haben soll. Aber ich habe mich auch in Tandy grundlegend getäuscht. Da sieht man, was mein Urteilsvermögen wert ist.«
Vermutlich mehr, als Sie zugeben wollen, Mr. Leek McKay, dachte Marge. Sie sah ihn an. Er wirkte offen und ehrlich, und doch blieben letzte Zweifel. Marge lächelte undurchsichtig. Sie würde ihn schmoren lassen. Verunsicherung führte oft zu überraschenden Reaktionen.
21
Marge biß in das Hot dog. Senf quoll aus dem Brötchen. Sie wischte sich die senfverschmierten Finger an einer Serviette ab und wandte sich an Decker: »Lita meint, Maries Zahnarzt sei in Glendale. Genaueres war nicht rauszukriegen. Gibt’s viele Zahnärzte in Glendale?«
»Nicht gerade wenige.« Decker trank einen Schluck lauwarmen Kaffee aus dem Plastikbecher. »Wenn er tatsächlich existiert, finden wir ihn.«
»Die gute alte Lita lebt gelegentlich in ihrer eigenen Phantasiewelt.«
»Sollte ich den Zahnarzt in Glendale nicht finden, sehen wir uns in den Nachbargemeinden um. Außerdem habe ich heute abend eine Verabredung mit Stan Meecham, Maries Frauenarzt. Bin gespannt, weshalb sie diese Ausschabung hatte.«
»Wetten, daß er bei ihr eine Abtreibung vorgenommen hat?« Decker sah von seinem Kaffeebecher auf. Marge berichtete ihm von ihrer Unterhaltung mit Lita Bellson.
»Drei oder vier Abtreibungen?« fragte Decker.
»Von denen Lita weiß.«
»Aber alle in ihrer Jugend.«
»Richtig. Lita behauptet, Marie habe dann Jesus gefunden und ihren Lebenswandel grundlegend geändert. Ich bin da eher skeptisch. Vielleicht führte sie ein Doppelleben.«
»Irgendwelche Hinweise?«
»Bis auf die Bücher in ihrer Wohnung … keine. Was, wenn Marie mit ihrer Triebhaftigkeit zu kämpfen hatte, Pete? Und wenn die Triebe gewonnen haben?«
»Du meinst, sie hat aus sexueller Frustration ein Baby entführt?«
Marge antwortete nicht. Sie war in Gedanken versunken.
»Kommen wir zu praktischeren Dingen, Marge«, begann Decker. »Hast du Miß Delfern nach Maries verstecktem Schlüssel gefragt?«
»Zum Schluß habe ich die Kassette erwähnt, ganz beiläufig. Sie hat behauptet, weder von einer Kassette noch von einem Schlüssel zu wissen. Die beiden haben sich hauptsächlich nach dem Dienst getroffen, in einem Restaurant oder in Paulas Wohnung.«
»Was ist mit der Krankenschwester, mit der Marie vorwiegend zusammengearbeitet hat?«
»Janie Hannick«, sagte Marge. »Sie waren nur Kolleginnen. Mehr nicht.«
Decker machte sich Notizen.
»Pete, könnte es nicht sein, daß Maries Schuldgefühle wegen der Abtreibung so übermächtig geworden sind, daß sie plötzlich durchgedreht ist?«
»Diese Ausschabung liegt zwei Jahre zurück«, gab Decker zu bedenken. »Von ›plötzlich‹ kann also keine Rede sein.«
»Vielleicht hat sich die Veränderung nur allmählich bemerkbar gemacht, und niemand hat die Zeichen richtig gedeutet«, überlegte Marge. »Kommt mir langsam so vor, als hätten wir es mit zwei psychisch gestörten Frauen zu tun, mit Marie und Tandy.«
»Religiosität ist keine psychische Störung, Marge!«
»Nein, so war das nicht gemeint. Aber es gibt Geistesgestörte, die ihre Probleme durch übersteigerte Religiosität zu verbergen suchen.«
Decker dachte unwillkürlich an Cindys Vortrag über Ersatzhandlungen von Suchtkranken. »Wie kommst
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