Die Reise-Bibel
keine Überraschungen erleben: »Mir sind’s, Herr Hansen,
die Hesselbachs, un’ mir freue uns schon diebisch auf de’ Urlaub bei Ihne! Des geht doch widder klar mit dem Zimmer auffen
Hof hinunter, odrr?« Und es geht natürlich immer klar bei Herrn Hansen – schließlich erhält der Mann ja nicht umsonst Grußkarten
zu Ostern und zu Weihnachten!
Der Konfuse
Es fängt schon damit an, dass er im Frühjahr vergessen hat, seinen Urlaubsantrag einzureichen. Aus diesem Grund kann er erst
los, wenn seine Kollegen wieder aus den Ferien zurück sind. Allerdings hat er keine Ahnung, wo er hin will. Und wenn er es
weiß, ist es sowieso zu spät, alles ausgebucht. Wie war das letztes Jahr? Er hatte von Sizilien, Kreta, dann Rom geträumt.
Besser gesagt: seine Frau. Ihm wär’s egal gewesen, Hauptsache mal raus. Und wo landeten sie schließlich? Ach ja, Toskana,
in diesem alten Kloster, eine Suite. Ohne Frühstück. Hat ihn ungefähr zwei Monatsgehälter gekostet, ein Irrsinn. Aber sonst
war ja nichts mehr frei. Und seiner Frau |49| hat’s gefallen. Der Konfuse verdrängt dieses komplizierte Thema, solange es geht, auch die Vorhaltungen seiner Frau erträgt
er stoisch mit dem Gleichmut des Langzeit-Ehemannes. Eine Woche vor seinem ersten Urlaubstag ruft er – wie jedes Jahr – ein
Reisebüro in der Nachbarschaft an, in dem zwei alte Mütterchen noch vor PanAm-Wandplakaten hocken. Sie erhalten den Auftrag,
nach was »Besonderem« zu suchen, sie wüssten schon. Das Besonderste an dem Angebot, das die Mütterchen dem Konfusen schließlich
unterbreiten können, ist in der Regel, dass es überhaupt noch zu haben ist, so kurz vor Reiseantritt. Ob es eine Ferienanlage
auf Madeira wird oder doch eher die Safari in Kenia, ist dem Konfusen dann auch schon wurscht. Diesmal haben ihm die Mütterchen
ein feudales Kaminzimmer in Stockholm besorgt. Ihm gleich. Nach Norwegen wollte er sowieso schon immer mal. Hauptsache, er
hat die Flugtickets noch rechtzeitig in der Post, denn elektronische Tickets kann er nicht leiden.
Der Cluburlauber
Italien, Frankreich oder Türkei – das sind Entscheidungen, mit denen sich vielleicht so ein gemeiner Tourist herumschlägt,
nicht aber der Aktivurlauber mit einer Vorliebe für die Club-Mitgliedschaft! Seine Kriterien lauten: Tennisplätze mit Flutlicht?
Beachvolleyball-Möglichkeiten am Strand? Mountain-Bike-Guides vor Ort, Cycling-Gerätschaften im Schuppen, Gym mit allem Pipapo?
Und was ist mit dem ganzen Wassersport-Gedöns? Da gibt’s ja feine Unterschiede, wie der routinierte Club-Med- oder Robinson-Freund
weiß. Da sich die Vorlieben des Clubgasts im Laufe der Jahre ebenso wenig verändern wie die Ausstattungen der jeweiligen Clubdörfer
in aller Welt, ähnelt der Cluburlauber bei der Wahl seines Urlaubsortes der
treuen Seele
, wenn auch aus anderen Gründen: Er fährt zwar schon zum siebten Mal in |50| dieses Fitnessparadies auf Lanzarote, aber als langweiligen Spießbürger möchte er sich trotzdem nicht bezeichnen lassen. Schließlich
ist er das seinem Körper schuldig. Und auch den Jansons aus München und den Brunners aus Köln, die immer zur gleichen Zeit
anreisen wie er – da stehen schließlich spannende Spiele auf dem Tenniscourt an. Insofern ist bei der Vorbereitung des Urlaubs
nur eines wichtig: die Jansons und die Brunners bei der Wahl des favorisierten Clubs auf seine Seite zu bringen.
Der Kulturreisende
Den ersten Anstoß erhält der Kulturreisende aus einem dicken Roman. Darin beschreibt ein deutscher Denker mit Stirnglatze,
wie er bei der Suche nach den Spuren seines just verstorbenen Vaters auf einem toskanischen Landgut strandet und sich dort
in einem amtlichen Rausch verliert. Am nächsten Tag realisiert die fiktive Figur des Stirnglatzendenkers, dass es sich auf
dem Hof ja auch in nüchternem Zustand wunderbar leben lässt und beschließt, sein bürgerliches Leben auf den Kopf zu stellen.
Der Kulturreisende zu Hause nimmt diese verwegene Idee als Anlass, sich mal in toskanische Landgasthöfe einzulesen. Hauptkriterien:
Weingüter in Gehnähe. Historische Relevanz. Bio-Küche. Er wälzt drei bis vier Reisebücher, erkundigt sich auf der Baedeker-Hotline
nach empfehlenswerten Höfen, blättert durch Folianten und italienischsprachige Reisemagazine. Schließlich bespricht er das
Projekt »Bildungsreise« mit einem Tourismus-Tutor in der VHS und dem Fachmann aus Jacques Weinlädchen, bevor er bei Meyer
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