Die Reise-Bibel
entschlossen erwirbt er ein paar Leinwände und Pinsel und bittet einen Straßenkünstler, ihm Privatunterricht zu erteilen.
Auf dem Höhepunkt seiner Italienreise besucht er ein Maklerbüro im Ort, muss dort aber leider erfahren, dass er sich ein Anwesen
von der Beschaffenheit und Größe, wie er es sich vorstellt, in der Toskana nicht leisten kann. Wie in den letzten Jahren in
Portugal, Griechenland und auf Madeira ist der Kulturreisende enttäuscht darüber, schon wieder keinen adäquaten Altersruhesitz
gefunden zu haben und widmet sich in den verbleibenden Tagen hauptsächlich den Freuden der Weinverköstigung und der authentischen
italienischen Landküche.
Der Pauschaltourist
Keine Ahnung, was die Leute gegen El Arenal haben, denkt er schon bei der Ankunft mit einem Blick über die Sonnenbrille auf
das Gasthaus »Bierkönig«: Ist doch alles da, was man braucht. Auch der Umstand, dass sein Hotel zwar wie versprochen drei
Sterne aufweist, sich aber inmitten von zwei größeren Baustellen befindet, bringt ihn nicht aus der Fassung. »Ich bin doch
nicht zum Pennen in Spa-na-nien!«, haut er seinem Kumpel auf die Schulter, was sich aber in den nächsten Tagen als nicht ganz
zutreffende Bemerkung entpuppt. Wahr ist, dass der Pauschaltourist nicht in seinem Hotelzimmer schläft, dafür aber ausgiebigst
entweder am Strand oder am Hotelpool – sofern er sich im Morgengrauen mit seinem Handtuch schon eine der Liegen sichern konnte,
die ihm ansonsten die unappetitlichen Engländer mit ihren roten Bäuchen streitig machen. Auf der erbeuteten Liege schläft
der Pauschaltourist dann seinen Rausch aus und vergisst |59| darüber jeden zweiten Tag, dass zur Buchung ja auch ein Frühstück im Hotelkeller gehört. Der Grund für dieses Versäumnis:
Ab 20 Uhr treibt er sich allabendlich im Kreise seiner Freunde – alle mit Hütchen und lustig betexteten T-Shirts ausgestattet – in Musikhöllen herum, die »Almrausch«, »Cha Cha« oder »Oberbayern« heißen, und er trifft dabei Stars aus Funk
und Fernsehen wie Möhre oder den König von Mallorca, Jürgen Drews. Das geht nie ohne einen veritablen Rausch vonstatten, und
somit sind für den nächsten Tag bis zum Einbruch der Dunkelheit ausschließlich schmerzlindernde Maßnahmen erforderlich: ruhiges
Liegen, Pegelbier. Nach Tag drei oder vier kommt auch noch ein heftiger Sonnenbrand hinzu, der besänftigt werden will. Wenn
der Pauschaltourist nach 14 Tagen im Flieger nach Düsseldorf oder Frankfurt sitzt, freut er sich in der Regel über einen gelungenen Urlaub, wenn vier
Kriterien erfüllt worden sind: Das Bier ist nicht allzu viel teurer geworden. Es hat nicht geregnet. Der Sonnenbrand klingt
langsam ab. Plus: Bei Möhres Superhit »20 Zentimeter« kann er von der ersten Strophe bis zum letzten Ton alles mitsingen. Unter dem Strich: »Voll geil!«
Der Globetrotter
Er fühlt sich inzwischen zu alt für die Freikörper-Jünger an der »Buhne 16«, aber im Gesellschaftsmagazin ›Gala‹ hat er gelesen,
dass man am »Roten Kliff« in Kampen einfach standesgemäßer badet als in Westerland oder Wenningstedt. Mehr als zwei Stunden
am Tag allerdings sonnt sich der Globetrotter nie, das garantiert eine gesunde Balance aus der angestrebten lässigen Bräune
und dem Statement gesunden Lebenswandels. Den Strandkorb zahlt er natürlich immer für den ganzen Tag, das ist eine Frage der
Haltung. Er ist gern auf der Insel, wenn Events wie der »Surf World Cup« oder das internationale Poloturnier stattfinden,
denn dann trifft der Globetrotter alte Freunde, die er ansonsten nur in |60| St. Tropez oder Marbella zu Gesicht bekommt. Er freut sich auch immer, wenn er einem Sylt-Premierengast die schönsten Stellen
der Insel zeigen kann: Routiniert präsentiert er Vogelkoje, den Kliffweg in Keitum oder das »Sansibar« in Rantum. Dabei handelt
es sich um a) sein Stammlokal, in dem er die A-, B- und C-Promis trifft, von denen Sylt in der Saison bevölkert wird, und b) um eine mäßig ausgestattete Strandhütte aus Holz und Strandkörben,
die aus Gründen, die nur der liebe Gott kennt, zu einer Kultadresse auf Sylt geworden ist. Im Grunde ist der Urlaub des Globetrotters
in der Regel ohnehin eine stete Abfolge von Café, Restaurant, Bar- und Disco-Besuchen. Er frühstückt auf der Whiskymeile auf
dem Strönwai, liegt seine zwei Stunden am Strand ab, bevor er in der »Kupferkanne« seinen Kuchen isst und bei »Gosch« den
Fisch
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