Die Reise-Bibel
des Tages, schließlich in der »Sansibar« zu Abend speist und gegen 23 Uhr im »Pony« einfällt. Dabei handelt es sich um eine merkwürdig eingerichtete Diskothek, in der seit Jahrzehnten Millionärstöchter
und -söhne im Monat für mehr Umsatz sorgen als eine niedersächsische Kleinstadt im ganzen Jahr hat. Der Höhepunkt im Urlaubsleben
des gemeinen Globetrotters ist die Einladung zu einem privaten Fest in einem der idyllischen Reetdachhäuser auf Sylt, die
in der Regel von Verlagsherren oder Kleiderfabrikanten in der vierten Generation bewohnt werden (am Wochenende, in der Saison!).
Das kommt aber leider viel zu selten vor.
Der Trekker
Bevor der Trekker irgendetwas anderes unternimmt, studiert er erst einmal den Wetterbericht und lügt seinen Guide an. Der
will nämlich wissen, ob der Trekker auch wirklich so reiseerfahren ist, wie er bei der Buchung angegeben hat. Was vom Trekker
bestätigt wird, aber so nicht stimmt: Eine Pilgerwanderung nach Kevelaer im Niederrheinischen oder der 1 0-Kilometer -Volkslauf der Stadtsparkasse sind mit einer |61| Expedition in den Anden oder einer Fahrradtour durch Grönland keineswegs zu vergleichen. Doch seine Motivation, die Natur
unverfälscht und ursprünglich zu erleben, möglichst fernab der Zivilisation und der üblichen Infrastruktur, ist stärker als
Selbstzweifel oder auch nur eine realistische Einschätzung seiner Leistungsfähigkeiten: Er will, er will, er will – das
muss
reichen. Dann startet der Trekker zusammen mit einer Gruppe unterschiedlich qualifizierter Teilnehmer und einem von der ersten
Sekunde an gestressten Guide. Von nun an wird der Trekker acht Tage lang erbärmlich frieren, ständig Hunger verspüren, seine
Beine nicht mehr spüren, immer müder und schwächer werden und irgendwann nur noch wünschen, dass es vorbei sein möge. Kurz:
Er wird ums nackte Überleben kämpfen, was ihn allerdings tatsächlich in Kontakt treten lässt mit archaischer Natur, dem wilden
Tierleben und der Grausamkeit von Menschen, die entweder besser in Form sind als er selbst (Streber!) oder noch erbärmlicher
vorbereitet (armselige Verlierer!). Am Ende ist er zwar nicht mal mehr in der Lage, seine Digitalkamera aus dem Rucksack zu
fingern, weil zu kalt, zu müde, zu lästig. Aber spätestens auf dem Rückflug wird ihm klar, dass ihn diese Grenzerfahrung endlich
wieder näher zu sich selbst geführt hat, auch wenn er nicht weiß, an welchem Punkt dieser Prozess kulminierte: War das, als
er sich vor dem plötzlich auftauchenden Bär einnässte, als ihm am sechsten Tag während des Blizzards zwei Fingerkuppen abstarben
oder doch eher der Moment, an dem er diesem amerikanischen Angeber seine Ration Suppe streitig machte? Er ist sich nicht sicher.
Der Backpacker
Der Backpacker landet am späten Nachmittag in Bangkok und weiß nicht so genau, wo er pennen soll. Er hatte in Deutschland
irgendwie keine Zeit gefunden, sich drum zu kümmern. Er wollte das eigentlich auch lieber mal vor Ort |62|
auschecken
, doch jetzt ist er totaaal müde von dem langen Flug. Er fläzt sich neben seinen Rucksack in der Ankunftshalle auf den Boden,
ganz in der Nähe von zwei spanischen Mädchen und einem Kanadier mit Dreadlocks,die hier offenbar schon länger ihr Lager aufgeschlagen
haben. Es stellt sich heraus, dass die drei auf einen Flug nach Auckland warten, der allerdings erst in zwei Tagen geht. Man
teilt sich Cola und Pot, und weil sich alle so gut verstehen und das echt auch irgendwie
funny
ist, bleibt der Backpacker die zwei Tage bei seinen neuen Freunden am Flughafen, er hat ja Zeit, alles
easy
. Erst als seine neuen Freunde im Abfluggate verschwunden sind, macht sich der Backpacker auf in die Stadt, sein Ziel: die
Khaosan Road. Er hat von Eleanora,einem der Mädchen, die Adresse von Babbesco bekommen. Babbesco ist Geschäftsführer in einem
Café gleich neben der Khaosan, und er weiß, wo man billiges Zeug und die besten Fake-Sneaker bekommt. Babbesco ist nicht da,
aber dafür Frank aus Lünen, der auch durch Thailand reist und sich im »Sidewalk Café« ein paar Baht dazuverdient, bevor er
nach Australien abhaut, zum Opaleschürfen. Von Frank aus Lünen erhält der Backpacker nicht nur eine Adresse für die nächsten
Nächte – »Total billig, ey!« –, sondern auch den Tipp, mit dem Bus nach Hua Hin zu fahren. Da gäb’s einen Typen namens Fernando, der einen mit seinem Tuk-Tuk
in die Nähe eines total einsamen Strandes
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