Die Reise-Bibel
bringen würde: »Total billig, ey!« So gehen drei Monate ins Land, in denen der Backpacker
viele Leute trifft,bei denen Körperpflege und Zukunftsplanung nicht auf Punkt eins der Prioritätenliste stehen und die ebenfalls
auf der Suche nach dem perfekten Strand, der billigsten Unterkunft und dem flashigsten Dope sind. Er trifft Sanchos, die Michelles
kennen, die einen zu Bernies schicken, und so kommt man irgendwie durchs Land, ohne hinterher zu wissen, wo man eigentlich
genau gewesen ist und warum überhaupt,aber hey: Ist das nicht auch völlig wurscht, irgendwie?
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|63| Reise-Szenen (Teil 2)
Familie Glowaczki checkt ein (und gerät in Schwierigkeiten)
5.20 Uhr an einem deutschen Flughafen. Es nieselt. Ein Taxi fährt vor. Helga Glowaczki wirft die Seitentür auf und rammt beinahe
einen vorbeifahrenden Wagen. Empörtes Hupen.
»Das war knapp vor Blechschaden!«, meldet Heiner Glowaczki. Seine Frau beachtet ihn genauso wenig wie den Huper. Stattdessen:
»Kevin Miami, Natascha Brioche, aufwachen, wir sind am Flughafen angekommen, hat jeder seine Sachen? Kinder!«
Zwei in identische braun-weiße Trainingsanzüge der Firma TCM gekleidete Jugendliche steigen aus, ihr Alter ist nicht genau
zu bestimmen. Gegelte Haare, modische Sneakers und an die Ohren getackerte iPods lassen darauf schließen, dass die Pubertät
bereits ihre Flaggen hisst, die müden Kindergesichter allerdings nähren den Verdacht, dass sie höchstens 12 oder 13 Jahre alt sind.
»Macht 22 Euro 20«, sagt der Taxifahrer, der während der ganzen Fahrt nicht gesprochen hat. Das Bild im Fond seines Toyota Corolla verrät,
dass er Jirzy Koller heißt, vermutlich Tscheche oder Slowake, was immer.
»Mach du mal!« Helga blickt ihren Mann kurz an, ist aber mental bereits von der komplizierten Aufgabe absorbiert, ihre Handtasche
aus dem Taxi zu wuchten, die so voluminös ist, dass ein Kasten Selters darin Platz finden würde, und gleichzeitig mit der
anderen Hand die orangefarbene Rettungsboje aus Kunststoff aus dem Fond zu jonglieren. Heiner Glowaczki schaut seine Frau
stumpf an. Seine Wimpern |64| sind verklebt, die Augen glasig. Schwerer Trinker, Bindehautentzündung oder mehrtägiger Schlafentzug. Heiner läuft untertourig,
aber unter Aufbietung sehr vieler seiner verbliebenen Energien gelingt ihm ein vernehmliches: »Wääss?!«
»Jo mach du ma’, ich kann grad hier nich’ längs.«
Was immer das heißen mag.
»Hab kein Geld mit!«
»Was? Was hast du nicht?
Was
hast du nicht?«
Helga wirkt, als würde ihr erst im Verlauf der Wiederholung klar, was ihr Mann ihr mitteilen möchte.
»Hab kein Geld mit. Ist doch alles dabei, hass’ du gesagt. Alles
inklusive
.«
Heiner zuckt mit den Schultern. Die beiden Glowaczki-Kinder stehen bereits neben dem Taxi, ausdruckslos. Blechern ist der
Beat eines Kirmestechno-Stücks aus dem Kopfhörer von Kevin Miami zu hören.
»Das glaub ich jetzt nicht. Heiner. Wie blöd ist das denn! Natürlich ist alles inklusive. Aber erst im Hotel. Im HOTEL. Man nimmt doch Geld mit, wenn’s schon unbedingt ein Taxi zum Flughafen sein muss. Scheiße, nää.«
»Hass’ doch selber keins mit.«
Heiner ist kein Mann von vielen Worten. Helga ruckt mit dem Kopf wie eine Möwe im Kampfanflug.
»Ich dachte, DU kümmerst dich auch mal um was.« Winkt ab, sagt dann mehr zu sich selbst:
»Kümmert sich um nix, sagt nix, ist nur am Leben. Na ja, er atmet!«
Der letzte Satz richtet sich nun aber bereits an Jirzy. Dessen Miene verrät nicht, ob er versteht, dass sich in seinem Fahrzeug
gerade eine kleine Krise anbahnt.
»Nimmssu Karte?«
Jirzy Koller nickt: »EC.«
Pause.
|65| »Ist aber kaputt gerade. Leider.«
Helga verdreht die Augen.
»Und jetzt?«
»Geldautomat? Ist in Terminal 2.«
Jirzy zeigt hinter sich, etwa 300 Meter entfernt ist ein blau angeleuchtetes Schild zu erkennen. TERMINAL 2. Und die Namen der Fluggesellschaften, die ihre Gäste in diesem Bereich des Flughafens abfertigen. Air Berlin, Condor, Finn
Air, Ryan Air, TUI Fly.
Helga seufzt. Sie zückt ihre Brieftasche und wühlt darin herum. Kleingeld klimpert. Sie zieht einen Fünfeuroschein hinter
der ADA C-Karte hervor, aber mehr ist auch nach längerem Suchen nicht zu finden. Wiederholtes Seufzen. Sie gibt auf. Kevin Miami und Natascha
Brioche stehen weiterhin stumm neben dem Taxi und starren in Terminal 1. Heiner wartet auf dem Beifahrersitz eingefallen wie eine leere Brötchentüte
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