Die Reise in die Dunkelheit
an die Wand und schwieg für längere Zeit. Der Alte scharrte nachdenklich an seinem stoppeligen Kinn und sah hin und wieder zu seinem Gesprächspartner hinüber. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte: Dym war kein Typ, dem man zutraute, die Bevölkerung einer ganzen Insel auszulöschen.
»Mit deiner Bombengeschichte hast du uns einen schönen Bären aufgebunden«, sagte Afanassi, um endlich zur Sache zu kommen. »Mir geht nicht in den Kopf, warum du fremde Schuld auf dich lädst . A ber wenn schon, dann hättest du ein bisschen besser lügen müssen. Ich habe das Vernehmungsprotokoll gesehen. Im Großen und Ganzen klingt das alles ganz schlüssig, aber aus deinen Erklärungen geht eindeutig hervor, dass du einen Sprengsatz, wie er auf der Insel hochgegangen ist, noch nie im Leben auch nur aus der Nähe gesehen hast. Unsere Experten haben sich weggeschmissen vor Lachen, als wir ihnen deine Aussagen vorgelegt haben. Warum hattest du das nötig? Warum?«
Ein tiefer Seufzer des Giganten sagte mehr als tausend Worte. Der alte Mann war sich jetzt hundertprozentig sicher, dass der Gefangene sich eines fremden Verbrechens bezichtigt hatte.
»Versteh doch, Junge«, fuhr er nachdrücklich fort. »Diese Menschen haben alles verloren. Für den Verlust unserer Familien muss derjenige bezahlen, der das angerichtet hat. Einen Sündenbock brauchen wir nicht. Wir haben nicht vor, uns an Unschuldigen zu rächen.«
»Und das Ultimatum? Das Senfgas?«
»Was für ein Senfgas denn, verdammt?!«, winkte Afanassi ab. »Das ist doch nur ein Bluff . A uf diese Weise versuchen wir, möglichst billig an die Mörder heranzukommen. Wenn es nicht klappt, werden wir uns eben selbst auf die Suche machen. Das wird langwierig und mühsam, aber was soll’s? Wir haben ja Zeit. Jedenfalls haben sie dich umsonst hergeschickt. Du Ärmster hast nur deine Zeit verschwendet und dir in dem finsteren Loch den Hintern platt gesessen.«
»Niemand hat mich geschickt. Es war meine eigene Entscheidung. Für die anderen bin ich sowieso nur Abschaum. Ein dreckiger Mutant. So wäre ich wenigstens noch zu etwas nutze gewesen …«
Der alte Mann schlug entrüstet die Hände über dem Kopf zusammen und griff dann abermals zu seinem Tabaksbeutel.
»Was bist du bloß für ein Dummkopf, Junge! Ein Mannsbild wie ein Baum, zwei Arme, zwei Beine und nicht auf den Kopf gefallen. Wo ist dein Problem?«
»Versuch du mal, mit dem Brandmal eines Menschen zweiter Klasse zu leben, dann würde es dir auch vergehen!«
»Du musst es wissen. Ich stecke schließlich nicht in deiner Haut . A ber eins verstehe ich trotzdem nicht: Wenn die Menschen dich tatsächlich so mies behandeln, warum setzt du dich dann für sie ein – ohne Rücksicht auf dein eigenes Fell?«
Gennadi wollte etwas erwidern, doch dann hielt er inne, blinzelte und starrte finster auf den Boden.
»Nicht alle sind so abweisend«, sagte er nach längerem Schweigen. »Es gibt auch Leute, die mehr sehen als nur meine grüne Haut. Und für die würde ich alles tun.«
»Du sprichst nicht zufällig von dem Kerl, der dir aus der Primorski-Allianz rausgeholfen hat?« Großvater Afanassi zwinkerte verschmitzt. »Was guckst du? Wir wissen viel über dich. Während du hier gebrummt hast, haben wir uns schlaugemacht.«
Dyms Stimmung sank vollends in den Keller. Man merkte ihm an, dass er um Worte rang.
»Taran ist schwer in Ordnung. Manchmal übertreibt er es und will mit dem Kopf durch die Wand, aber …«
»Er hat dir den Hals gerettet«, ergänzte der Alte.
»Ja, das hat er«, pflichtete Gennadi bei und seufzte abermals.
»Und bestimmt nicht dafür, dass du ihn gleich in die nächste Schlinge hängst.«
In die Gesprächspause mischte sich das gleichmäßige Ploppen tropfenden Wassers. Beide hatten sich verausgabt und waren in Gedanken versunken.
»Hör mal«, besann sich plötzlich Afanassi. »Dieser Taran war doch der Erste, der auf die Insel kam … Er hätte doch ein Interesse daran haben können …«
»Vergiss es! Mit dem Anschlag hat er nichts zu tun«, versetzte Dym kategorisch.
»Kennst du diesen Söldner so gut?«
Der alte Mann sah seinen Gesprächspartner prüfend an, als versuchte er, irgendeine Unaufrichtigkeit in seiner Mimik zu entdecken. Gennadi zeigte sich kurz irritiert von der Frage, doch schon im nächsten Moment sprach tiefe Überzeugung aus seinem Gesicht.
»Ich kenne Taran erst seit zwei Monaten . A ber glaub mir, das hat gereicht, um jegliche Zweifel an ihm
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