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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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knisterte etwas über seinem Kopf und die Augen wurden vom Licht einer Fackel geblendet. Kräftige Hände drehten den Stalker auf den Rücken und begannen die Taschen seiner Weste zu durchwühlen. Taran blinzelte und drehte den Kopf.
    »He! Du lebst ja noch!«
    Der Stalker versuchte, etwas zu sagen, doch er brachte nur ein schwaches Krächzen heraus. Der unbekannte Retter mit der Fackel in der Hand hatte sich über ihn gebeugt. Taran sah nun endlich nicht mehr alles doppelt und mit einer der Situation durchaus unangemessenen, fast schon alltäglichen Gelassenheit stellte er fest, dass er sich selbst betrachtete. Verließ die Seele auf diese Weise den Körper? Oder war es doch eine Sinnestäuschung?
    Der Söldner kniff die tränenden Augen ein wenig zusammen und schaute genauer hin. Jetzt verschwand die flüchtige Ähnlichkeit mit sich selbst: ein mit Narben übersätes Gesicht, kantige Züge, ein schiefes Lächeln mit einem Anflug von Boshaftigkeit, quadratisches, stoppeliges Kinn … Ein paar fehlende Zähne rundeten das verwegene Äußere des Fremden ab.
    »Bist du einer von uns, Mann?« Der Typ fuhr sich demonstrativ mit der Hand über den kahlen Schädel.
    »Von euch?«
    Taran zog die Brauen zusammen. Er verstand nicht, was der Typ damit gemeint hatte.
    Nachdem der Retter keine vernünftige Antwort bekommen hatte, konzentrierte er seine Aufmerksamkeit auf die Habseligkeiten des Stalkers.
    »Sag mal, Mann, du hast nicht zufällig was zu beißen?«
    »Schau im Rucksack nach«, erwiderte der Söldner mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    Der Glatzkopf tauchte kopfüber in Tarans Rucksack, zog mit einem Freudenschrei ein Stück Dörrfleisch heraus und schaute den Söldner erwartungsvoll an.
    »Bedien dich«, bestätigte der offiziell.
    Ein Gebot der Etikette der Metro. Selbst der Hungrigste vergriff sich nicht ohne Erlaubnis an den Vorräten eines Fremden.
    Knurpsend und schmatzend begann der Mann zu essen. Erst jetzt bemerkte der Stalker die Ketten an seinen Füßen. Ein Gefangener? Natürlich. Wen sonst sollte man in den Stollen des Roten Wegs auch treffen?
    Das eifrige Kauen des Sträflings wurde von einem jähen Hustenanfall unterbrochen. Taran stand auf und humpelte auf steifen Beinen zu seinem Retter, um ihm auf den Rücken zu klopfen. Doch der hob abwehrend die Hand.
    »Nicht nötig«, sagte er und schnappte röchelnd nach Luft. »Geht gleich vorbei.«
    »Die Feuchtigkeit?«
    »Schön wär’s«, sagte der Glatzkopf mit einem bitteren Grinsen. »Ich hab mir eine Überdosis eingefangen. Strahlenkrankheit.«
    Taran musterte seinen Gesprächspartner. Die pathologisch blasse Haut und das leichte Zittern der Finger sprachen Bände.
    »Wo ist das passiert?«
    Der Unbekannte hörte zu kauen auf, verzog das Gesicht und winkte ab.
    »Das ist eine lange Geschichte … Dafür muss ich mir jetzt den Kopf nicht mehr rasieren. Die Haare sind ausgefallen. Tja, so ist das, Mann.«
    Eine lange und vermutlich ziemlich traurige Geschichte. Wer war dieser todkranke Typ? Ein ehemaliger Söldner? Oder ein Dieb, den man auf frischer Tat erwischt hatte? Wohl kaum. Die einen wie die anderen witterte Taran zehn Meter gegen den Wind.
    Auch der Retter fragte sich offenbar, mit wem er es zu tun hatte.
    »Bist du ein Digger? Also, ein Stalker?«
    Taran nickte.
    »Und du bist dann wohl …«
    »Ein Schwererziehbarer.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Im Wortsinn.« Der Sträfling in der abgetragenen Grubenarbeitermontur grinste. »Die Kommunisten nennen uns so. Weißt du, die Sklaverei passt nicht so gut zum marxistisch-leninistischen Trallala. Und so winden sie sich eben nach Kräften.«
    »Und wozu sollen die gut sein?« Der Söldner deutete auf die Ketten.
    »Na, zur Zierde … wahrscheinlich. Wie ich schon sagte, ich bin schwer erziehbar. Und zwar ein ziemlich hoffnungsloser Fall. Zwei Fluchtversuche. Beide gescheitert. Durch diesen Schacht da …«, der Sträfling zeigte mit dem Daumen auf den Schutthaufen, »… wollte ich es auch versuchen. Gut, dass ich es mir rechtzeitig anders überlegt habe. Wie man so schön sagt: Wer zum Kriechen geboren ist, fliegt mitAeroflot . A ber wenn man die Höhe hier berücksichtigt, bräuchte man mindestens die Lufthansa.«
    Der Söldner warf einen Blick auf den Ort des Geschehens. Das Ausmaß der Zerstörung war so verheerend, dass man eine weitere Verfolgung des Vernichters getrost vergessen konnte. Die Tunneldecke hatte sich um fast einen Meter abgesenkt und der Zugang zum vertikalen Schacht war

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