Die Reise in die Dunkelheit
flinke Bestien aus dem Spiel zu nehmen. In den seltenen Atempausen holte er neue Munitionsgurte aus dem Rucksack.
Je weiter der Stalker nach Süden vorstieß, desto verbissener wurden die Attacken der Sumpfbewohner. Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Immer neue Ungeheuer schälten sich aus dem Nebel. Inzwischen waren auch Mutanten dabei, die Taran noch nie zuvor gesehen hatte: groteske Kreaturen, die so abartig aussahen, als seien sie den phantasmagorischen Gemälden von H. R. Giger entstiegen. Und sie hatten nur eines im Sinn: den Zweibeiner zu zerreißen und aufzufressen.
Der Söldner versuchte Ruhe zu bewahren und schoss präventiv, um die Bestien gar nicht erst herankommen zu lassen. Patronen zu sparen war in dieser Situation praktisch unmöglich. Tarans Salven mähten reihenweise Mutanten um, doch schon Sekunden später rappelten diese sich wieder auf und stürzten sich erneut auf ihr widerspenstiges Opfer.
Zum Glück griffen nicht alle Sumpfbewohner so blindwütig an. Eine vorsichtige »Gottesanbeterin« drehte argwöhnisch ihren Chitinkopf, witterte die Gefahr und krabbelte mit wirbelnden Beinpaaren davon . A uch die unter Wasser lauernden »Kalmare« ließen den Zweibeiner mittlerweile in Ruhe. Sie hatten sich auf leichtere Beute verlegt: die angeschossenen Bestien, die entlang der Chaussee hilflos zappelnd im Morast lagen.
Die Petscheneg funktionierte immer noch wie ein Uhrwerk, was in erster Linie dem speziellen Luftkühlungssystem zu verdanken war. Etwas anderes bereitete Taran wesentlich größere Sorgen: der rapide schrumpfende Munitionsvorrat . A ls vor ihm die Brückenruinen des Autobahnrings auftauchten, war sein Rucksack bereits zu drei Vierteln geleert. Ein weiterer massiver Angriff der Bestien wäre dem Söldner wohl zum Verhängnis geworden, doch im allgemeinen Chaos schienen sie ihn für den Augenblick vergessen zu haben.
Am Rande der Erschöpfung watete der Stalker durch den Schlamm, doch ging er beharrlich weiter und näherte sich dem Autobahnkreuz. Durch die ständige Anstrengung waren seine Arme ertaubt und konnten das schwere Maschinengewehr kaum mehr tragen . A ls wäre das alles nicht schlimm genug, stellten sich auch noch stechende Schmerzen in der Seite ein. Doch nicht etwa erste Anzeichen eines neuerlichen Anfalls? Das wäre kein schöner Tod – inmitten von gefräßigen Bestien im Morast abzusaufen …
Die wenig erbaulichen Gedanken verflogen schlagartig, als im Nebel gleich mehrere bizarre Silhouetten auftauchten. Die Kreaturen, die von Süden her langsam heranschwebten, schienen eher Ausgeburten eines kranken Gehirns als reale Wesen zu sein. Taran traute seinen Augen nicht und schüttelte fassungslos den Kopf. Doch die albtraumhaften Geschöpfe kamen unerbittlich näher.
Sie hatten eine entfernte Ähnlichkeit mit Quallen, die einst in tropischen, damals noch unverstrahlten Gewässern gelebt hatten. Von ihren Artgenossen aus dem Meer unterschieden sie sich durch ihre gigantische Größe und vor allem dadurch, dass sie auf unerklärliche Weise durch die Luft schwebten und die Wasseroberfläche nur gelegentlich mit ihren fadenförmigen, halb transparenten Tentakeln berührten.
Taran schüttelte die Verblüffung ab und legte das Maschinengewehr an. Die Petscheneg tackerte los und rüttelte in den Händen. In breiter Streuung zischten die Geschosse durch die Luft und schlugen in die schwerelosen, wie mit Helium gefüllten Körper der Nesseltiere ein. Eines der Monster wurde besonders schwer getroffen. Es wirbelte durch die Luft und sank mit einem kaum hörbaren Zischen auf ein Moospolster herab, wo es zu einer Pfütze farblosen Gels zerrann. Die Übrigen schwebten weiterhin auf ihr Opfer zu, obwohl auch ihre filigranen Hüllen, die wie Kunstwerke aus feinstem Seidentuch wirkten, von einigen Kugeln durchschlagen worden waren.
Aus den Schwaden der Schwefeldämpfe tauchten immer neue Medusen auf, als kämen sie hinter einem Theatervorhang hervor.
»Was wollen die alle hier?!«, schimpfte Taran, als er den nächsten Munitionsgurt einlegte. »Gibt’s hier was umsonst?«
Die Petscheneg knatterte ohne Unterlass, und ein leerer Munitionsgürtel nach dem anderen landete im Dreck. Der Feuerlärm dröhnte so in den Ohren, dass Taran seine eigenen Flüche nicht mehr verstand.
Doch schließlich kam es so, wie es kommen musste: Das Maschinengewehr verstummte, und der Griff in den Rucksack ging ins Leere. Es war keine einzige Patrone mehr übrig. In diesem Moment wurde dem
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