Die Reise in die Dunkelheit
gegen seine Brust und sah den Vernichter herausfordernd an.
»Mein Vater hat gesagt, Kinder dürften nicht für die Fehler ihrer Eltern bezahlen. Dir ist es doch egal, wen du tötest . A lso töte mich. Und lass sie gehen.«
Ein Auge des Waffenhändlers zuckte. Das unheilvolle Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. Er wirkte verstört.
»Aurora ist das Beste, was dir in deinem Leben passiert ist. Begehe nicht noch einen Fehler. Es wäre dein schlimmster, Onkel Pachom. Dein allerschlimmster.«
Da war etwas im Blick des Jungen … Dem Giganten wurde auf einmal beklommen zumute. Sein Herz pochte heftig, einmal, zweimal, und fing dann zu rasen an. Von ganz tief drinnen, vom Grund seiner verknöcherten Seele quoll ein längst vergessenes, unerträglich brennendes Gefühl empor, schwoll an und machte sich in ihm breit …
Pachom wandte den Blick zu seiner Tochter und riss plötzlich die Flinte hoch. Ein Schuss krachte.
Als das Blut in sein Gesicht spritzte, kniff Gleb die Augen zusammen und sank vor Schreck zu Boden. Fast gleichzeitig wie der enthauptete Körper des Waffenhändlers. Der Junge hatte immer noch dessen Gesicht vor Augen, in das bittere Schuldgefühle eingemeißelt waren.
Im Wohncontainer der »Ameise« roch es nach Blut und Alkohol. Gennadi kümmerte sich um Großvater Afanassi und verband ihm die Schusswunde am Oberarm. Der alte Mann hielt sich tapfer, seiner ungesund grauen Gesichtsfarbe zum Trotz . A ls er Glebs Blick auffing, zwinkerte er dem Jungen zu, als wollte er sagen: Wird schon alles wieder …
Der Raketentransporter kehrte in die Stadt zurück. Durch die Schlaglöcher wurde er heftig durchgerüttelt, doch davon abgesehen verlief die Fahrt durch die Sümpfe bemerkenswert ruhig. Die Bestien hatten sich an den Kadavern von ihresgleichen satt gefressen und waren in ihren Höhlen verschwunden. Nur einmal kam dem Lkw eine versprengte Gottesanbeterin in die Quere, doch seine gigantischen Räder zerquetschten ihren Chitinpanzer wie eine Eierschale.
Nachdem der Junge von seinen abenteuerlichen Erlebnissen berichtet hatte, drängte er den wortkargen Stalker, seinen Teil der Geschichte zu erzählen. Dieser zog es vor, seinem leichtsinnigen Sohn die versprochene Standpauke zu halten, woraufhin Gleb trotz aller Wiedersehensfreude ein bisschen beleidigt war. Doch er nahm sich den Rüffel nicht übermäßig zu Herzen – die faszinierende Fahrt mit dem gepanzerten Ungetüm entschädigte für einiges.
Alle vermieden es, über Pachom zu sprechen.
Aurora saß mit untergeschlagenen Beinen in einer Ecke des Raums und starrte ins Leere. Gleb wollte sie gerade ein wenig aufmuntern, als Taran sich wieder an ihn wandte.
»Alles klar bei dir?«
Der Junge zuckte mit den Achseln. Nach dem Dauerstress der vergangenen Tage fühlte er sich innerlich leer. Er hatte nicht einmal Lust zu schlafen.
»Kannst du dich an einen Kantemirow von der Ploschtschad Lenina erinnern?«
»Na logisch«, erwiderte Gleb und seufzte. »Diesen Gauner vergisst man nicht so leicht.«
»Bevor er gestorben ist, hat er mich darum gebeten, dich an irgendein Versprechen zu erinnern. Was hat er damit gemeint?«
»Wladlen ist tot?« Der Junge fuhr auf . A ls sein Stiefvater mitfühlend nickte, senkte er den Kopf. »Dann spielt es keine Rolle mehr. Jetzt nützt ihm der Weg nach Eden nichts mehr.«
Dann plötzlich viel es ihm wie Schuppen von den Augen: das Serum! Wie hatte er das nur vergessen können?
Gleb kramte fieberhaft in seiner Tasche, zog das Fläschchen hervor, wickelte es aus dem Papier und gab es seinem Vater.
»Da, trink das!«
Als er den fragenden Blick des Stalkers bemerkte, plapperte er los: »Das ist eine Medizin! Damit wirst du deine Krankheit für immer los. Wladlen hat’s mir versprochen.«
»Dann hat er es also tatsächlich hinbekommen. Und wie hast du ihm das Zeug abluchsen können?«
»Das ist eine lange Geschichte …«, erwiderte Gleb und winkte theatralisch ab.
Vorsichtig nahm Taran das Fläschchen aus der Hand seines Stiefsohns und hielt es gegen das Licht. Eine farblose, klare Flüssigkeit. Eigentlich wie Wasser. Er zog den Stöpsel ab und hielt es sich unter die Nase. Keinerlei Geruch.
»Worauf wartest du? Trink! Wladlen hat gesagt, dass es seine Wirkung verliert, wenn zu viel Licht drankommt.«
Achselzuckend leerte der Stalker das Fläschchen in einem Zug und horchte in sich hinein. Wieder nichts. Nur ein leichtes Brodeln im Magen . A ber das kam eher vom Hunger als von dem Präparat.
»Also, ich will
Weitere Kostenlose Bücher