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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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Manche in Säcken, manche ohne … Erstaunt beobachtete Taran, wie einige Totengräber die blutgetränkten Hüllen von den Leichen zogen und in einem bauchigen Zuber deponierten.
    »Recycling«, kommentierte ein anderer Totengräber, der von hinten an den Stalker herangetreten war. »Die Stoffplanen für die Säcke sind Mangelware, deshalb verbrennen wir sie nicht mit. Wir weichen sie ein, waschen sie und verwenden sie wieder.«
    Das musste dieser Baracholschtschik sein. Wie die anderen Totengräber trug er einen knöchellangen, schwarzen Mantel mit Kapuze. Unter seiner weißen Atemschutzmaske quoll ein rötlicher Bart hervor. Das sah ziemlich komisch aus. Doch wäre dieses Detail nicht gewesen, hätte man den Leichenfledderer von seinen gesichtslosen Kollegen kaum unterscheiden können.
    Der Totengräber, der Taran begleitet hatte, nickte flüchtig und verschwand. Baracholschtschik nahm die Maske ab und sah den Stalker misstrauisch an.
    »Ich weiß von deinen Geschäften mit Schmyga«, sagte Taran, um den Stier gleich an den Hörnern zu packen.
    Der Plünderer verzog keine Miene.
    »Und was geht dich das an?«
    »Gar nichts. Ich will nur etwas wissen. Es geht um die Stummel aus dem Abwasserkanal, in der Nähe der Papa …«
    »Ach so! Sag’s doch gleich.« Baracholschtschik atmete auf. Er hatte schon befürchtet, dass der grimmige Stalker ihm am Zeug flicken wollte. »Die wurden abgeknallt wie die Hasen. Das waren Banditen von auswärts. Sie haben die Stummel in die Zange genommen und kurzen Prozess gemacht. Kann sein, dass sie dort auf der Lauer lagen, kann auch sein, dass …«
    »Hast du unter den Toten … ein Kind gesehen? Einen zwölfjährigen Jungen?«, unterbrach ihn Taran und erschrak über seine eigenen Worte.
    Der Totengräber runzelte die Stirn und überlegte. Der Stalker ballte die Fäuste. Er machte sich auf das Schlimmste gefasst. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Rotbart endlich antwortete.
    »Weiß der Geier … In dem Kanal war es stockfinster. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Du solltest lieber selbst nachsehen. Die Leichen von dort werden gerade abgeladen . A n dem Bahnsteig dort drüben, siehst du?«
    Durch schmale Gänge zwischen den Leichen hindurch gelangte der Söldner zu der Entladestelle, wo kleine Güterwaggons auf dem Gleis standen. Mehrere Totengräber waren damit beschäftigt, die Säcke auf den Bahnsteig zu wuchten. Dort stapelten sie sie zu einem großen Haufen.
    Taran zog sein Messer und schnitt den erstbesten Sack auf. Erwartungsgemäß befand sich die Leiche eines Stummels darin. Der nächste Sack – wieder ein Wilder. Schon nach kurzer Zeit waren die Hände des Stalkers schwarz von geronnenem Blut, und ihm wurde schlecht von dem üblen Gestank. Doch er biss auf die Zähne und schlitzte einen Sack nach dem anderen auf.
    Die Totengräber wollten sich schon erkundigen, ob der Stalker noch alle Tassen im Schrank habe, doch Baracholschtschik gab ihnen ein Zeichen, und sie ließen ihn in Ruhe. In den Säcken fanden sich auch einige Körper, die mit Metrobauermonturen bekleidet waren. Die gehörten offenbar zu den Banditen, von denen die Stummel überfallen worden waren. Keuchend zerrte Taran die bereits geöffneten Säcke weg, um sich die nächsten vorzunehmen. Schon nach kurzer Zeit war er über und über mit klebrigem Blut besudelt.
    Nachdem er den nächsten Wilden beiseitegeräumt hatte, entdeckte der Stalker plötzlich das, wovor er sich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte: einen Sack, der viel zu klein war, als dass ein ausgewachsener Mensch darin Platz gefunden hätte. Wie gelähmt stand er mit dem Messer in der Hand über dem leblosen Bündel.
    Gleich würde das Unausweichliche geschehen. Woher diese niederschmetternde Gewissheit kam, wusste Taran nicht. Doch er spürte jenes fast schon vergessene Gefühl eines unwiederbringlichen Verlusts. Genau wie damals am Tag der Katastrophe, als er sich durch die hysterische Menge zu seiner Liebsten durchkämpfte, die reglos auf dem Asphalt lag. Es war ihm damals sofort klar gewesen, dass sie in dem Inferno keine Chance gehabt hatte, doch im Herzen hatte er trotzdem auf ein Wunder gehofft.
    Doch das war damals ausgeblieben. In dieser zertrümmerten Welt gab es keinen Platz mehr für Wunder. Und jetzt würde es wieder so sein. Der Stalker hatte schon zu viel gesehen in seinem Leben, als dass er sich an eine leere Hoffnung geklammert hätte.
    Mit leisem Ratschen durchschnitt die scharfe Klinge den Stoff, das letzte

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