Die Reise in die Dunkelheit
erkennen. Sie wies den kürzesten Weg zum Ziel.
Der Söldner musste noch an drei relativ gut erhaltenen Hochhäusern vorbei, dann erreichte er endlich die Kreuzung Béla-Kun- und Bucharestskaja-Straße. Der Eingang zur Station Meschdunarodnaja , der unter den Ruinen eines Einkaufszentrums begraben lag, war über Jahre hinweg unzugänglich gewesen. Die verschlossenen Totengräber hatte das nicht weiter gestört, sie zogen es ohnehin vor, nicht an die Oberfläche zu kommen.
Taran ging zügig an dem Trümmerfeld vorbei. Er versuchte nicht einmal, das Schlupfloch zu finden, das zum Rolltreppenschacht führte. Stattdessen holte er eine Druckflasche mit Atemgas aus seinem Rucksack und schloss sie an seine Gasmaske an. Dann ließ er ein dünnes Seil in den schwarzen Schlund des Lüftungsschachts hinab, der sich etwas weiter hinten in dem Wohnblock befand. Nachdem er den Karabinerhaken befestigt hatte, schaute sich der Stalker noch ein letztes Mal um und ließ sich dann in die dichten Rauchschwaden hinab.
Einen endlosen Betonschacht hinunterzuklettern, ist ein zweifelhaftes Vergnügen, zumal wenn man nichts sieht und ständig gegen Stützkonstruktionen stößt . A uf den Sichtscheiben der Gasmaske hatte sich schlagartig ein dichter Rußfilm gebildet, durch den absolut nichts mehr zu erkennen war. Zu allem Überfluss drang die Hitze, die von den Kremationsöfen der Totengräber nach oben stieg, allmählich durch den dichten Stoff des Schutzanzugs.
Als der Stalker am Grund des Schachts wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war er von Kopf bis Fuß kohlrabenschwarz und schmorte förmlich im eigenen Saft. Klebriger Schweiß rann ihm in die Augen, und sein Herz schlug wie verrückt.
Durch einen Korridor gelangte er in den Tunnel der Metro. Hier säuberte er als Erstes die Scheiben der Gasmaske, um sich zu orientieren . A m einen Ende des Tunnels konnte er hinter einer Biegung den Lichtschein eines lodernden Feuers erkennen. Von dort kam auch das bedrohliche Grollen, das hier unaufhörlich den Untergrund beschallte.
Nichts wie weg von diesem Höllenofen, dachte Taran und schlug die Gegenrichtung ein. Kurze Zeit später endete der Tunnel in einem geräumigen Lagerraum, in dem längliche Säcke aneinandergereiht lagen.
Die Friedhofsstation Meschdunarodnaja . Eine gigantische Leichenhalle – unheilvoll und in beklemmendes Schweigen gehüllt, makabres Anhängsel des Riesenorganismus Metro.
Das von Fackeln beleuchtete, nackte Betongewölbe und die Unmengen an Leichen erzeugten eine unwirkliche Stimmung. Die Anwesenheit des Sensenmannes spürte man hier in jedem Winkel, selbst die Luft und die Wände schienen vom Tod durchtränkt. Seine Allgegenwart verlieh der Station die gruselige Atmosphäre einer Gruft.
Tarans Erscheinen im »Reich der Toten« blieb nicht unbemerkt. Gleich mehrere Totengräber, die damit beschäftigt waren, Leichen von einem Wagen abzuladen, hielten in ihrer Arbeit inne und musterten den Gast. Wie sie ihm gesinnt waren, konnte der Stalker nicht erkennen, da weiße Masken ihre Gesichter verhüllten. Jedenfalls verharrten sie reglos und schweigsam wie Schaufensterpuppen, als warteten sie auf irgendeine Geste des Besuchers. Taran besann sich und nahm die Gasmaske ab. In seine Nase schlug strenger Brandgeruch, gewürzt mit einem Schuss Verwesung. Der heftige Cocktail kratzte im Rachen und ließ die Augen tränen.
Nun erkannten die Totengräber den Söldner. Einer von ihnen bequemte sich näher zu treten.
»Du bist durch den Abzugsschacht gekommen? Wie unvernünftig. Wir hatten dich von der Seite der Wolkowskaja erwartet. Für die Inspektion unserer Stationen ist alles vorbereitet.«
Eine leise Stimme ohne den Hauch einer Emotion. Donnerwetter. Die Totengräber konnten sprechen. Wer hätte das gedacht?
Taran winkte seinen Gesprächspartner ein Stück beiseite.
»Hast du nicht eure Stationen auf der Versammlung des Metrorats vertreten?«
Der Mann nickte.
»Hör zu. Wir wissen beide, dass ihr mit der Bombe nichts zu tun habt. Die Inspektion dieser Gruft hier kann ich mir schenken. Ich muss nur mit Baracholschtschik sprechen. Dann verschwinde ich wieder. Einverstanden?«
Im ersten Moment erstarrte der Totengräber zu einer Skulptur, ähnlich wie das Grüppchen seiner Kollegen, die in der Nähe auf ihn warteten. Dann bedeutete er dem Stalker mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen. Gemeinsam durchquerten sie gut die Hälfte der unvollendeten Station.
Wohin man auch schaute – überall lagen Tote.
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