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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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Werkzeug übersäten Arbeitsplatz. Der Rest des feuchten Lochs lag in Dunkelheit getaucht. Sein Bewohner war aufs Energiesparen bedacht.
    Jeden anderen hätte es wohl um den Verstand gebracht, allein in der Finsternis und beklemmenden Stille der toten Röhre zu hausen, doch der alte Mechaniker hatte sich längst an die Einsamkeit gewöhnt. Im Reich der Totengräber konnte er sich weitgehend sicher fühlen. In der Wendeanlage hinter der Wolkowskaja stand der Alte unter dem Schutz der schweigsamen Leichenkuriere, die ihn außerdem mit Nahrung, Brennstoff und Werkzeug versorgten . A ls Gegenleistung hielt er ihre altersschwachen Draisinen in Schuss, mit denen sie ihre leblose Kundschaft durch die Metro kutschierten.
    Der Mechaniker blies die Späne weg, begutachtete kritisch sein Werk, runzelte unzufrieden die Stirn und griff abermals zur Feile. Er war so beschäftigt, dass er den tanzenden Lichtkegel in der Überleitstelle überhaupt nicht bemerkte. Erst als er Schritte kommen hörte, legte er ärgerlich die Feile weg. Die fröhliche Melodie verstummte.
    Seine Gönner kamen wie immer im ungünstigsten Moment. Der Alte wischte sich die Hände an einem Lappen ab und humpelte den Gästen entgegen . A ls er durch seine gesprungenen Brillengläser anstelle der schwarzen Kapuzenmäntel einen verstärkten Schutzanzug erkannte, verschwand das dienstbare Lächeln in seinem Gesicht und machte einer Grimasse der Verwunderung Platz. Es kam nicht jeden Tag vor, dass sich ein Stalker in seine staubige Höhle verirrte. Schon gar nicht einer von solchem Kaliber.
    Der Besucher sah sich kurz um und reichte dem Alten die Hand: »Taran.«
    »Semjon Michailowitsch. Oder einfach Migalytsch.«
    Der kräftige Händedruck des Stalkers gefiel dem Mechaniker. Dieser Hüne strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein . A llerdings war diese Stärke mit unübersehbarem Zorn eingefärbt. In den Augen des Besuchers funkelte grimmige Entschlossenheit.
    Angst empfand der Alte trotzdem keine. Eher Mitleid. Dieser Mann trug irgendeinen Kummer mit sich herum. Was Persönliches. Solche Dinge bemerkte Migalytsch auf den ersten Blick. Er hatte schon so viel erlebt …
    »Die Totengräber haben mir gesagt, du hättest Pläne von allen Tunneln und Betriebsstrecken«, sagte Taran.
    »Immer schön langsam, Söldner«, entgegnete der Mechaniker und schüttelte vehement den Kopf. Dabei wirbelte sein grauer Haarschopf lustig umher. »Und wenn’s so wäre – was geht dich das an?«
    »Ich bezahle. Lebensmittel, Medikamente … Was ist dir lieber?«
    Der Alte bedachte den Stalker mit einem listigen Seitenblick und schwieg, als ob er überlegte, was bei dem Geschäft wohl herauszuholen wäre . A ls er die Ungeduld des Gastes bemerkte, lächelte er zahnlos.
    »Eine Unterhaltung.«
    »Wie bitte?« Taran runzelte verständnislos die Stirn.
    »Du schuldest mir eine Unterhaltung«, erläuterte Migalytsch. »Mir ist langweilig hier. Keine Menschenseele weit und breit. Nur Ratten und Totengräber. Keine sonderlich gesprächige Gesellschaft, wie du dir vorstellen kannst.«
    »Dafür habe ich keine Zeit«, wandte der Stalker ein, doch der Mechaniker humpelte bereits in seine Behausung zurück und bedeutete dem Gast, ihm zu folgen.
    »Ach was, keine Zeit. Da fällt dir doch kein Zacken aus der Krone. Komm schon, Söldner, tu einem alten Mann einen Gefallen. Ich spendier dir auch leckerenKwass . A us Pilzen. Hausgemacht!«
    Zurück im Wendetunnel begann der Alte erneut zu pfeifen und entschwand in der Finsternis. Geschirr schepperte. Kurz darauf kehrte er mit einer verbeulten Kanne und zwei Aluminiumbechern zurück. Er räumte sein Werkzeug weg und stellte das Gesöff auf die Werkbank.
    »Welche Betriebsstrecke interessiert dich? Obwohl, warte, ich kann es mir denken. So viele Verbindungstunnel gibt es nun auch wieder nicht … Du willst doch zu den Heiden, nicht wahr?«
    Taran erstarrte mit dem Becher am Mund, als er Migalytschs inquisitorischen Blick auffing. Der Alte war auf einmal todernst, seine greisenhafte Trotteligkeit wie weggeblasen. Nur sein rechtes Augenlid zuckte leicht. Und dieser nervöse Tick war auch das Einzige, was die Erregung, die ihn erfasst hatte, verriet.
    »Mit diesen Bastarden habe ich noch eine Rechnung offen«, sagte der Mechaniker mit einem flüchtigen Blick auf seinen Ehering, der dem Stalker nicht entging. »Und du anscheinend auch. Da haben wir uns doch was zu erzählen.«
    Taran gab sich geschlagen. Er lehnte sein Gewehr an die Wand, nahm auf

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