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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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bevor der durchgeknallte Mutant auf die Idee kam, sich an seinem saumseligen Gast gütlich zu tun.
    Die Kalaschnikow war anscheinend draußen liegen geblieben. Dafür steckte die Pistole im Halfter. Besser als nichts . A ls Taran gerade aufstehen wollte, hörte er in seinem Rücken etwas rascheln und erstarrte. Langsam schob sich eine knorrige, mit Schorf überzogene Mischung aus Hand und Klaue ins Bild. Die Kreatur mit dem langen Umhang streckte ihm ein Werbeplakat des Multiplex-Kinos entgegen: ein rammelvoller Kinosaal, auf der Leinwand eine paradiesisch grüne Stadt und Tausende von Bewohnern, die die Straßen der Metropole bevölkern.
    Entweder der Mutant hatte vor, das Bild auf der Werbung nachzustellen, um in die Wunder-Stadt zu gelangen, oder er wollte einfach Freunde finden. Wie auch immer – mit seinen Methoden war der Stalker nicht einverstanden.
    Als Taran sich langsam von seinem Sessel erhob, fauchte die Kreatur. Der Stalker hatte nicht vergessen, wie heftig dieser aus der Art geschlagene Mensch zutreten konnte. Er stürzte sich auf ihn und drehte ihm mit einer blitzartigen Bewegung den Arm um. Der Mutant begann fürchterlich zu kreischen, zappelte und zog die Beine an . A ber diesmal war er zu langsam. Taran hatte bereits seine »Krähe« gezogen und den Lauf auf seinen Kontrahenten gerichtet. Er drückte ab. Mehrfach. Schüsse krachten. Das Springmonster schlug verzweifelt um sich und verhedderte sich dabei in seinem Sackgewand. Das Einzige, was er mit seinen gefährlichen Beinen zerstörte, waren ein paar Kinosessel.
    Mit einem Mal erschlaffte der Mutant. Offenbar hatte eines der Geschosse ein lebenswichtiges Organ verletzt. Das Gezeter hörte auf. Nur noch ein dumpfes Glucksen quoll unter der Kapuze hervor.
    Taran verzichtete darauf, sich das Ungeheuer genauer anzusehen. Die bisherigen Eindrücke hatten ihm gereicht. Unvorstellbar, wie sich aus einem Menschen ein so widerwärtiges Geschöpf entwickeln konnte. Besonders die unnatürlich gekrümmten Gliedmaßen waren verstörend . A ndererseits hatte der Mutant auch keinerlei Ähnlichkeit mit einem Vogel oder sonst einem Tier. Eine Missgeburt – anders konnte man so was nicht bezeichnen.
    Ohne sich näher umzusehen verließ der Stalker den Saal. Er durchquerte die vermüllte Eingangshalle und ging auf den verwaisten Parkplatz des Kinos hinaus. Plötzlich kamen Erinnerungen in ihm hoch. Erinnerungen an seinen ersten »Ausflug« aus dem Krankenhausbunker, etwa eine Woche nach der Katastrophe.
    Hierher, zur riesigen Shopping Mall »Raduga« mit dem angeschlossenen Multiplex »Kinostar«, waren an jenem Tag Überlebende aus der ganzen Gegend geströmt – verstrahlte Menschen, von Verbrennungen entstellt und von den Geschehnissen traumatisiert . A n einer improvisierten Absperrung aus Stacheldraht hatten sie sich erwartungsvoll zusammengedrängt. Hinter dem Zaun waren zwei riesige Transporthubschrauber gelandet, die mit ihren Rotoren die vergiftete Luft durchpflügten. Irgendwelche Typen in Militäruniformen, die mit rätselhaften Listen herumwedelten, hatten den Auftrag, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Glücklichen, die sie durch die Absperrung ließen, wurden zu den Hubschraubern geführt, die Übrigen überließ man einfach ihrem Schicksal. Wie sich herausstellte, war die Rettungsaktion nur für wenige Auserwählte bestimmt – für ranghohe Funktionäre und ihre Familien. Die Normalsterblichen wurden ausgesiebt . A ls das klar wurde, versuchten die verzweifelten Menschen, die Absperrung zu durchbrechen, doch die Soldaten schossen gnadenlos in die Menge.
    Die Schreie des Entsetzens, das Stöhnen der Sterbenden, das Krachen der Schüsse – der ganze Horror dieser Massenpanik hatte sich tief in Tarans Gedächtnis eingegraben. Noch lange Zeit danach hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, woher diese Militärs wohl gekommen waren und wohin sie die überlebenden VIP s gebracht hatten. Es waren damals die letzten Hubschrauber gewesen …
    Seine gute alte Kalaschnikow fand Taran dort, wo er sie verloren hatte. Er hob sie auf und setzte seinen Weg fort. Über den Witebski-Prospekt, den rostige Autowracks säumten, über den Bahndamm, der wie ein Schweizer Käse durchlöchert war, und durch denJablonewy sad an der Belgradskaja-Straße, der sich aus einem gepflegten Park in eine zerpflügte Mondlandschaft verwandelt hatte.
    Vor dem Hintergrund der vom Schnee überzuckerten Stadtruinen war die schwarze Rauchsäule, die aus der Erde stieg, gut zu

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