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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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einer Kiste Platz und hörte dem gastfreundlichen Alten zu. Gemeinsames Leid ist nicht unbedingt halbes Leid, aber es verbindet, und wie sich herausstellte, waren ihre Geschichten beinahe identisch. Der Unterschied bestand nur darin, dass der Stalker wegen der Heiden seinen Sohn verloren hatte und der alte Mann seine Frau.
    Nachdem der alte Mechaniker sein Schicksal zu Ende erzählt hatte, bemerkte Taran zu seiner eigenen Überraschung, wie es plötzlich auch aus ihm heraussprudelte. Es hatte sich einiges angestaut, was auf seiner Seele lastete, und Migalytsch erwies sich als dankbarer Zuhörer.
    Er war der Erste, dem der Stalker sich offenbarte und die ganze Geschichte von Gleb erzählte . A ngefangen von ihrer ersten Begegnung bis hin zum schrecklichen Ende . A ls Taran sich ausgesprochen hatte, war ihm tatsächlich ein wenig leichter ums Herz.
    Anschließend verfielen beide in Schweigen. In solchen Momenten ist das viel wohltuender als tausend tröstende Worte.
    Nach einigen Minuten stand der Mechaniker auf.
    »Warte …«, sagte er leise. »Ich schaue mal nach den Plänen. Sie müssen hier irgendwo sein. Ich muss nur das Licht einschalten.«
    Der Schalter klickte. Im Licht der aufgehängten Lampen konnte man nun den gesamten Raum des Wendetunnels überblicken. Taran hätte sich beinahe an seinem Kwass verschluckt, als er die seltsame Konstruktion auf dem Gleis erblickte: eine mit einer dicken Staubschicht bedeckte Rangierlok mit einem angehängten Tankwagen, aus dem oben und an den Seiten ungewöhnlich geformte Trichter ragten. Während Migalytsch in seinem Chaos nach den Plänen suchte, sah der Stalker sich das vorsintflutliche Vehikel genauer an . A llem Anschein nach stand es schon seit der Katastrophe hier auf dem Abstellgleis.
    »Eine Tunnelwaschanlage«, erklärte der Alte, nachdem er mit einem Stapel vergilbter Pläne wieder aufgetaucht war. »Damit habe ich vor dem Krieg gearbeitet . A ls Lokführer. Ein geniales Gefährt. Und total simpel. Wie jede gute Erfindung. Schau nur … Für den Wasserdruck sorgt eine Feuerlöschpumpe. Die Düsen sind so konstruiert, dass man den Tunnel rundum waschen kann.«
    Migalytsch humpelte begeistert gestikulierend um die Rangierlok herum. Der Stalker konnte seinen Enthusiasmus nicht recht teilen, dafür erregte ein chemischer Geruch aus dem Tankwagen seine Aufmerksamkeit.
    »Was ist da drin?«
    »Hä?« Der Alte blieb perplex stehen und starrte den Tankwagen an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. »Benzin natürlich. Womit sollte ich denn die Draisinen der Totengräber sonst betanken? Das gute Stück ist ohnehin ausrangiert. So ist es wenigstens noch zu irgendwas nutze …«
    Der Stalker drehte eine Runde um das Fossil.
    »Und die Rangierlok? Fährt die noch?«
    »Was hast du denn gedacht?!« Mit jugendlich anmutender Leichtigkeit kletterte Migalytsch in den Führerstand. »Was soll denn hier kaputtgehen? Ein SIL -Motor, Kupplung, Getriebe … Jeder Schlosser, der nicht zwei linke Hände hat, findet sich da in zwei Minuten zurecht!«
    »Warum sitzt du eigentlich hier herum? Ich an deiner Stelle wäre schon längst weggefahren.«
    Der Mechaniker stieg aufs Gleis zurück und lächelte gequält.
    »Wegfahren? Wohin denn, Söldner? Meine Reise ist längst zu Ende … Außerdem wären mir die Totengräber böse, wenn ich wegginge.«
    Taran nickte verständnisvoll. Was hätte Migalytsch auch antworten sollen? Das Alter, die Entbehrungen und der Verlust seiner Frau hatten ihn zermürbt.
    Der Mechaniker durchwühlte in der Zwischenzeit Stapel alten Papiers, brummte ungehalten vor sich hin und legte die unnützen Pläne beiseite. Schließlich sah er auf und hob bedauernd die Schultern.
    »Ich kann den Plan ums Verrecken nicht finden. Tut mir leid. Ich erinnere mich noch, dass dort Diensträume waren, irgendwo in der Mitte des Tunnels. Genaueres musst du dann vor Ort herausfinden. Vorausgesetzt, du kommst überhaupt durch die Sperranlagen der Heiden …«
    »Trotzdem vielen Dank. Ich habe ohnehin keine Wahl. Irgendwie komme ich schon durch.«
    »Sei vorsichtig …«, sagte Migalytsch väterlich und leuchtete dem Stalker mit einer Petroleumlampe.
    »Danke für den Kwass und für die nette Unterhaltung. Vielleicht sehen wir uns ja wieder. Leb wohl.«
    Während der Alte dem Stalker hinterherschaute, stieg plötzlich jenes Gefühl in ihm auf, das er jahrelang unter allen möglichen Vorwänden verdrängt hatte: Er ekelte sich vor sich selbst. Vor jenem nichtswürdigen Geschöpf,

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