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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Djakow
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gearbeitet haben … Ich war ja Chirurg vor der Katastrophe. Da habe ich viel an Leuten rumgeschnibbelt . A ber einen abstechen – das bring ich nicht fertig. Paradox … Als Mörder tauge ich nicht.«
    Erst jetzt wurde Taran klar, warum ihm die krächzende Stimme des Heiden irgendwie bekannt vorkam. Der Mann war niemand anders als der Chefarzt, der ihn seinerzeit als Wachmann im Krankenhaus eingestellt hatte! Und zwar in eben jenem Krankenhaus, in dessen Luftschutzbunker er jetzt wohnte.
    Der Chirurg schien sich an den alten Bekannten nicht zu erinnern. Gedankenverloren erzählte er von seinem mühevollen Leben und von seinem zurückgebliebenen jüngeren Bruder Schiwtschik. Der sei zwar »ein dummer Tropf«, aber trotzdem ein lustiger und gutmütiger Typ gewesen. Kürzlich sei er eines tragischen Todes gestorben, als er in seine eigene Sprengfalle tappte …
    Taran ging das monotone Geplapper auf die Nerven. Er hörte nicht mehr zu. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass der Heide nicht log und tatsächlich völlig harmlos war. Es gab keinen Grund, ihn zu töten.
    »Hast du mal Feuer?«
    »Was?« Der Stalker schaute den Banditen abwesend an.
    »Ich meine, wenn du mich schon nicht umbringst, könntest du mir doch Feuer geben«, erklärte der Heide und steckte sich eine Selbstgedrehte in den Mund.
    Taran klopfte seine Taschen ab, dann zog er das Feuerzeug hervor – sein einziges Andenken an Gleb – und betätigte das Zündrädchen. Doch anstatt die Zigarette anzurauchen, starrte der Bandit nur die züngelnde Flamme an.
    »Oha! Das Ding kenne ich doch. Woher hast du das?«, fragte er misstrauisch.
    »Du kennst das Feuerzeug?!« Der Stalker rückte dem Heiden auf die Pelle. »Woher? Aber in allen Einzelheiten …«
    »Mein Bruder, der hirnlose Krüppel, hatte so eins . A n jenem unseligen Tag ist er die ganze Zeit damit herumgelaufen. Bevor er in die Sprengfalle getappt ist … Ich weiß noch genau, dass er es einstecken hatte, als wir seinen Körper den Totengräbern übergaben … Ach, es ist schade um Schiwtschik. Er sah ja aus wie ein kleiner Junge. Er hatte das Gesicht eines Mannes, aber den Körper eines Kindes …«
    Tarans Herz blieb zuerst fast stehen und fing dann wie verrückt zu schlagen an. Der Stalker hatte Angst davor, sich falsche Hoffnungen zu machen, und packte den Banditen am Kragen.
    »Und wo hatte dein Bruder das Feuerzeug her?«
    Irritiert über die plötzliche Aggressivität und den drohenden Ton des Stalkers, antwortete der Heide wie aus der Pistole geschossen.
    »Er hat es einem Jungen abgehandelt. Der Boss wollte den Burschen an die Sklavenhändler verkaufen, doch mein seliger Bruder half ihm zu fliehen. Und als Gegenleistung hat er anscheinend das Feuerzeug bekommen, stell dir vor. Dabei hätte er es dem Bengel auch einfach abnehmen können . A ber darauf ist er mit seinem Spatzenhirn nicht gekommen.«
    Jetzt war die Sache klar: Taran hatte den von einer Mine zerfetzten Körper eines zurückgebliebenen Krüppels für die sterblichen Überreste seines Sohnes gehalten. Der Stalker konnte sein Glück kaum fassen und geriet völlig aus dem Häuschen. »Er lebt! Er lebt!«, jubelte er in stiller Euphorie, und Mutmaßungen über die Geschehnisse wirbelten in seinem Kopf wie in einem Kaleidoskop.
    Ein Gedanke jedoch störte Taran: Hätte sich Gleb wirklich so leicht vom einzigen Andenken an seine Eltern getrennt? Kaum vorstellbar. Es musste mehr auf dem Spiel gestanden haben als nur seine Freiheit . A ber was? Egal, darüber konnte er sich auch später noch den Kopf zerbrechen. Jetzt war Eile geboten.
    »Wo ist der Junge hingegangen?« Tarans Augen funkelten.
    »Woher soll ich das wissen?«, entrüstete sich der bereits nicht mehr ganz nüchterne Bandit. »Er ist in Richtung Dostojewskaja gelaufen . A ber wohin dann? Weiß der Henker. Vielleicht treibt er sich noch irgendwo rum, wenn ihn die Veganer nicht schon aufgegabelt haben …«
    Gleb bei den Veganern … Eine Horrorvorstellung. Tiefe Sorgenfalten radierten die Euphorie aus dem Gesicht des Stalkers. Das Reich der »Grünen« lag nicht weit entfernt, und an den Grenzstationen wimmelte es nur so von ihren Spitzeln. Es konnte durchaus sein, dass Gleb in die Hände der Sklavenhändler gefallen war. Ein Grund mehr, keine Sekunde Zeit mehr zu verlieren.
    Taran steckte das Feuerzeug ein und preschte davon. Eine Weile schaute der Bandit konsterniert auf die Tür, die der Stalker zugeschlagen hatte. Dann spuckte er ärgerlich die nach wie vor kalte

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