Die Reise in die Dunkelheit
tränkte seinen Körper mit dem typischen Geruch von Kreosot – dem Holzschutzmittel für die Schwellen – und uraltem Staub. Tunnelsegment reihte sich an Tunnelsegment, und es schien, als würden sie kein Ende nehmen.
Endlich tauchte in der Ferne ein Lichtschein auf. Die Zugänge zum Imperium der Veganer waren stets gut beleuchtet. Nachdem Taran die Überleitstelle passiert hatte, verlangsamte er seinen Schritt. Der Lauf des Maschinengewehrs am Kontrollposten schwenkte herum. Ein unsichtbarer Wachposten nahm den Ankömmling ins Visier. Hinter der Brustwehr aus Sandsäcken bewegte sich etwas.
»Stehen bleiben!«, kommandierte eine zackige Stimme. »Hände weg vom Gewehr! Wer da?!«
»Mach die Augen auf und melde mich deinem Chef.«
»Bleib, wo du bist, und warte«, gab der Wachposten zurück. »Und keine Mätzchen.«
Der Söldner konnte buchstäblich spüren, wie er beobachtet wurde. Er lehnte sein Gewehr an die Wand, setzte sich daneben und streckte erschöpft die Beine aus.
Der Wachposten telefonierte. Reinster Luxus. Bei Weitem nicht alle Siedlungen konnten es sich leisten, Kabel zu den Kontrollposten zu verlegen. Die meisten hatten nicht einmal genug Strom für die Beleuchtung, geschweige denn für andere Zwecke.
Im Imperium der Veganer waren solcherlei Einschränkungen unbekannt . A ls hochentwickelte Siedlung konnten die »Grünen« sich mehr als andere leisten und nützten ihre Möglichkeiten weidlich aus. Das Einzige, was die Veganer nicht im Überfluss besaßen, war Lebensraum. Dieser Mangel war auch der Grund für die permanenten Streitigkeiten mit anderen Siedlungen.
Ein böser Zufall wollte, dass die Stationen des Imperiums der Veganer und diejenigen der Primorski-Allianz auf derselben Linie der Metro lagen. Dieser Umstand machte die beiden mächtigsten Gruppierungen im Petersburger Untergrund zu unversöhnlichen Feinden im Kampf um Lebensraum und Ressourcen.
Aus der Richtung der Überleitstelle drangen erstickte Schreie herüber. Unwillkürlich drehte Taran den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Irgendwo dort, nicht weit vom ehemaligen Wartungsstützpunkt entfernt, begann der Tunnel, der die Linie 3 mit der Linie 4 verband. Sofern der Stalker richtig informiert war, befand sich in dieser Zwischenröhre ein Sammellager der besonderen Art: der Sklavenmarkt. Von hier gelangte die lebendige Ware zu ihren zukünftigen Herren an den Stationen des Veganerreichs.
Die Marschrouten hatten die Sklaventreiber so gelegt, dass man an den Zugängen zum Imperium von der Seite der Majak keine Sklavenkarawanen zu Gesicht bekam. Und auch nicht an der Plan selbst. Man wollte bei Neuankömmlingen keinen schlechten Eindruck erwecken. Diese waren entweder Glücksritter aus der Peripherie oder Überläufer aus der Primorski-Allianz – auch solche gab es gelegentlich.
Als Vorposten des Imperiums erfüllte die Plan außerdem die Funktion eines Anwerbestützpunkts für neue Rekruten. Hier befanden sich die Kasernen und das Ausbildungszentrum. Gegenüber ihren Dienstherren hegten die frisch verpflichteten Legionäre zumeist eine naive Ignoranz und hatten keinen blassen Schimmer von den Gräueln, die sich an den südlichen Stationen des Imperiums abspielten.
Auch Taran kannte die dunklen Machenschaften der »Grünen« nur vom Hörensagen und wäre freiwillig nie auf die Idee gekommen, seine Nase in diesen Sumpf zu stecken. Doch die Umstände zwangen ihn dazu.
Am Kontrollposten leuchtete unterdessen ein heller Scheinwerfer auf. Ins Licht trat ein alter Bekannter: Satur. Der Veganer sah zwar ein wenig abgehetzt aus, war jedoch wie immer piekfein gekleidet. Die maßgeschneiderte Uniformjacke saß wie angegossen.
Das scheißfreundliche Lächeln des Veganers konnte den Stalker nicht täuschen . A m liebsten hätte er den gerissenen Bastard an die Wand geklatscht. Unglücklicherweise konnte er sich das nicht leisten, denn das Serum der »Grünen« war die einzige Medizin, die ihm bei seinen Anfällen Linderung verschaffte.
»Dachte ich mir schon, dass du hier aufkreuzen würdest. Und natürlich nicht durch den Haupteingang . A ber zugegeben: Über den Majak ist es auch nicht der nächste Weg.«
Taran nickte nur zur Begrüßung und machte keine Anstalten, sich auf den Small Talk einzulassen.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir etwas mit dem Atomschlag zu tun haben?« Satur lächelte sauertöpfisch. »Wenn es so wäre, hätten wir doch nicht an der Versammlung des Metrorats teilgenommen. Ich schlage vor, dass du
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