Die Reise ins Licht
junge Frau stand gegen die Wand gedrückt auf einem Eisensims etwa vier Meter über der Erde. Niemand hatte bemerkt, wie sie es geschafft hatte, vom Boot dorthin zu springen. Nun aber hatte Taran sie bereits erspäht und seilte sich geschwind von oben ab.
Dym stieß ein Triumphgeheul aus und streckte seine riesigen Hände zum Himmel. Da erbebte die rostige Barkasse unter ihm und begann schnell im Wasser zu versinken. Von allen Seiten stürzten sich die widerlichen Kreaturen auf den Kämpfer. Die Stalker eröffneten das Feuer, aber alles war vergebens. Begraben unter einem Knäuel glitschiger Körper verschwand der Mutant in Sekundenschnelle im Wasser. Gleb presste die Fäuste zusammen, bis es wehtat, und schrie gemeinsam mit den anderen auf. Das Schießen hörte auf. Die Stalker starrten entsetzt auf das brodelnde Wasser und heulten in ihrer Ohnmacht.
Über dem Abhang tauchte Tarans Gesicht auf. Der Wegführer packte den Rand einer Platte, stemmte sich hoch und kletterte nach oben. Er trug Nata auf dem Rücken, die den Stalker mit Händen und Füßen umklammerte. Die junge Frau glitt auf den rauen Beton herab und begann zu schluchzen.
»Nun komm schon, es ist vorbei. Du kannst sowieso nichts mehr ändern. Hör auf zu weinen.« Kondor umarmte sie und versuchte sie zu beruhigen, obwohl er sich selbst nicht besser fühlte.
Ksiwa fluchte wütend. Eine Granate flog nach unten. Die Wucht der Explosion ließ eine riesige Wasserfontäne aufspritzen.
»Schluss damit!« Kondor sprang auf und musterte seinen Trupp mit strengem Blick. »Zieht den Rotz hoch. Hievt Farid hoch. Wir gehen weiter. Taran, du führst uns!«
Die Straße durchschnitt mit einem entschiedenen, schnurgeraden Strich die Newabucht, bis sie irgendwo in der Ferne verschwand. Die Stalker liefen auf dem Damm entlang, wobei sie einander in unregelmäßigem Abstand folgten. Der durchdringende Wind zerrte an ihrer Kleidung. Die Wellen stürmten ununterbrochen gegen das von Menschenhand errichtete Hindernis. Die Elemente salutierten mit schäumender Gischt vor den freigiebigen Gästen. Ihre Gabe war akzeptiert worden.
11
DER RUBIKON
Gibt es etwas Motivierenderes als Angst? Etwas, das unser Handeln genauso stark beeinflussen kann? Was bedeutet Angst für jeden von uns? Angst ist unbeständig und wechselhaft. Erfindungsreich und heimtückisch. Oft macht sie mit uns merkwürdige Dinge. Wegen ihr weinen und lachen wir, unterwerfen uns und werden zu Verrätern, empfinden Hass und Scham. Wegen ihr bezichtigen wir andere der Panikmache, während wir unsere eigenen Gefühle als vernünftige Vorsicht ausgeben.
Müssen wir uns für unsere Angst schämen? Sie bekämpfen? Oder etwa Nachsicht mit ihr üben? Angst hat wahrlich eine große Macht. Ohne sie ist es zu ruhig, ja langweilig, mit ihr hingegen oft unerträglich. Sie kann das Leben fahl und minderwertig machen, oder umgekehrt, leuchtend und reich. In welcher Gestalt sie auftritt, das hängt allein von ihr ab. Aber es gibt eine Regel, die für alle gleichermaßen gilt, nämlich dass man von Angst nicht allzu häufig heimgesucht werden sollte. Besser, man lockt sie nicht an. Lässt sie nicht in seine Seele. Denn das Spiel mit der Angst ist gefährlich. Und bisweilen ist der Einsatz darin übermäßig hoch.
»Ist es noch weit?«
»Wir sind fast da. Hinter der Biegung führt die Straße in einen Tunnel. Wenn er nicht überflutet ist, kannst du davon ausgehen, dass wir die Insel erreicht haben.« Taran warf einen Blick auf die Karte.
»Und was ist das darüber?« Ksiwa betrachtete misstrauisch die ausgeklügelten Aufbauten.
»Das ist der Schiffsdurchlass S1. Diese riesigen Bögen sind schwimmende Schleusentore. Mit ihnen wurde der Kanal gesperrt, wenn eine Sturmflut drohte.«
»Ja, die Ingenieurskunst war damals auf der Höhe.« Der Mechaniker blickte entzückt auf das technische Wunder, das vor ihnen aufgetaucht war. »Ich denke, es würde sich lohnen, die Konstruktion zu untersuchen. Vielleicht wurden von dort aus die Lichtsignale gesendet.«
Kondor blickte Farid von der Seite an. Der Kämpfer hielt sich großartig, obwohl ihm anzusehen war, wie viel Mühe es ihn kostete. Sie brauchten eine Atempause.
»Wir machen das so. Schaman, wir beide schauen uns oben um, die anderen untersuchen den Tunnel. Wenn alles sauber ist, machen wir Rast.«
»Was, sollen wir vielleicht direkt unter dem Wasser übernachten? «, fragte Ksiwa nervös.
»Hast du etwa Angst, dir die Füße nass zu machen?«,
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