Die Reise ins Licht
Wertvolles darin sein, schließlich hatte sich sein Besitzer bis zu seinem Tod nicht davon getrennt.
Der Junge zog das Bündel vorsichtig aus dem Haufen sterblicher Überreste heraus. Ein Buch? Gleb durchschnitt das Nylonband und streifte das feuchte Zellophan ab. »Tagebuch« lautete die geprägte Aufschrift auf dem rissigen Umschlag. Die vergilbten Seiten innen waren eng beschrieben. Der Junge blickte sich um: Die Stalker hatten sich über den Bunker verstreut und warfen einander von Zeit zu Zeit kurze Sätze zu. Die Strahlen ihrer Lampen flackerten in den Gängen. Gleb nutzte diesen Augenblick, richtete das Licht auf die Handschrift und fuhr mit dem Finger die geraden Zeilen entlang.
»Verflucht sei der Tag, als ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen habe. Obwohl ich jetzt, wenn ich die Ereignisse der vergangenen Jahre analysiere, gar nicht so recht weiß, was das bessere Ende gewesen wäre: dort oben draufzugehen, schnell an der Strahlung zu krepieren, oder all diese Jahre Dutzende Meter unter der Erde zusammen mit einem Haufen anderer Pechvögel allmählich bei lebendigem Leib zu verfaulen. Ihnen tagein, tagaus in die Augen zu schauen und zu lügen.
Angefangen hat alles mit einem verlockenden Angebot von Petja Sawelew, meinem besten Kumpel. Wir hatten schon in der Schule Freundschaft geschlossen. Später trennten sich unsere Wege. Nach der Offiziersschule meldete sich Petja zum Dienst im Norden. Er hatte wohl Ärger mit seinem Mädchen gehabt. Na ja, jedenfalls machte er Schluss mit ihr und fuhr ans andere Ende der Welt.
Mit dem Studium hatte ich irgendwie kein Glück. Ich habe damals abgebrochen. Eine vernünftige Arbeit fand ich auch nicht, also schlug ich mich so durch, verdiente mal hier was, mal da. Und dann,
eines schönen Tages, kam Petja zurück. Ich erinnere mich, wir haben richtig einen draufgemacht, um unser Wiedersehen zu feiern. Bei einer Flasche Wodka redeten wir über unser Leben. Petja erzählte so spannende Geschichten vom Meer, den Schiffen, der Weite des Nordens. Ich dagegen hatte irgendwie nichts zu sagen, also hab ich dummes Zeug geredet. So ist das, sagte ich, und so. Ich lebe so vor mich hin, passt schon so. Was hatte ich schon groß zu erzählen?
Petja war ein rücksichtsvoller Typ. Er fragte mir damals keine Löcher in den Bauch, sondern saß nur so da und pulte sich in den Zähnen herum. Er hatte diese schlechte Angewohnheit. Sogar den Nagel am kleinen Finger hatte er sich dafür wachsen lassen. Jedenfalls schaute er mich damals so an, ganz in Gedanken versunken. Aber ich hab gleich gemerkt, dass er was verbirgt, dass er mir irgendwas verschweigt. Jedenfalls hat er mir dann einen Job angeboten. Er sagte, es sei eine ernste Sache, und ich dürfe auf keinen Fall jemandem was davon sagen. Ich dachte schon, o Mann, der will doch nicht irgendwelche linken Dinger drehen. Aber er hat mich gleich beruhigt und gesagt, wir könnten für die Militärbehörde arbeiten. Der Lohn sei zwar nicht so riesig, aber Arbeit gebe es mehr als genug und außerdem drei Mahlzeiten täglich. Nur unterschreiben müsste ich was. Wegen der Verschwiegenheit.
Ich hab nicht lang nachgedacht. Schließlich hatte ich nichts zu verlieren – denn ich besaß nichts. Kurz, ich hab zugestimmt. Am nächsten Tag sind wir nach Kronstadt gefahren. Wie ich die Schiffswerft gesehen habe, sind mir sofort alle möglichen Vermutungen durch den Kopf geschossen. Ich dachte, wir würden vielleicht ein geheimes U-Boot bauen. Aber es war alles viel einfacher. Wir sollten einen Bombenkeller instand setzen. Gastarbeiter durften nicht ins Objekt, und von mir und vielen anderen hatten sie ja die Unterschrift. Das waren vor allem Militärs, die den Luftschutzkeller
bauten. Irgendwelche Pioniertruppen. Soldaten rannten herum oder schleppten irgendwelche Kisten. Irrsinnsmengen an Technik schafften die ran. Ständig hetzten sie hin und her. Zu essen bekamen wir gleich im Objekt, aus einer Feldküche.
Außerdem dämmerte mir allmählich, dass mit diesem Bombenkeller doch nicht alles so einfach war. Als Erstes wurde eine hermetische Tür eingesetzt. Ein richtig fettes Ding! Aber nicht am Eingang, sondern im Gegenteil am anderen Ende des Schutzkellers. Was sich dahinter befand, wusste keiner. Man hatte uns strengstens verboten, dorthin zu gehen. Und der Posten, der ständig vor dieser Tür Wache schob, war nicht gerade gesprächig.
So zog sich das hin mit der Stoßarbeit. Petja hab ich nur selten gesehen, weil er genau an dieser
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