Die Reise Nach Helsinki
besonders
viel Humor.«
*
Am nächsten Tag erschien der
Sergeant ohne seinen Vorgesetzten. »Ich habe ihm das mit der
Beamtenbeleidigung erst mal noch ausreden können«, grinste er, »ich
habe ihm gesagt, Sie stünden unter Schock, er solle mal fünf gerade
sein lassen. Aber ich empfehle Ihnen, sich in Zukunft
zusammenzureißen, schließlich repräsentiert er die Staatsgewalt,
und in diesen Fragen hat er keine Toleranz.«
»So sieht er auch aus«, giftete
Anna.
»Im Übrigen haben wir das Testament
eingesehen. Ihr Vater war ein vermögender Mann, Sie und Ihre Mutter
erben je zur Hälfte, Ihre Tante bekommt eine lebenslange Rente.
Hohenstein wird daraus ein Motiv für Sie und Ihre Mutter ableiten,
ich wollte Sie nur schon mal vorwarnen.«
Anna wusste nicht, ob sie in Tränen
oder Wut ausbrechen sollte, schließlich wurde es eine Mischung aus
beidem.
»So was kann nur einem kranken Hirn
entspringen«, schluchzte sie, »der ist doch nicht normal. Das
Verhältnis zwischen Papa und mir steht ja wohl außerhalb jeder
Frage, und Mutter zu verdächtigen, erscheint mir vollkommen
absurd.«
»Erst mal muss die Kriminalpolizei
jede Hypothese verfolgen und jedes mögliche Motiv abklopfen. Gehen
Sie einfach ein bisschen in die Defensive, dann nehmen Sie meinem
Vorgesetzten den Wind aus den Segeln.«
Anna warf den Kopf zurück und sah
ihn wütend an, dann schwieg sie.
»Wie schätzen Sie denn die Ehe ein,
die Ihre Eltern geführt haben? Kann man aus der Tatsache, dass Ihre
Mutter nicht die Alleinerbin ist, schließen, dass es damit
vielleicht nicht zum Besten stand?«
»Na ja, gut stand es nicht um die
beiden, das ist sicher kein Geheimnis. Aber ich frage mich
natürlich, welches Ehepaar nach zwanzig Jahren noch glücklich ist.
In den letzten Jahren haben sie sich oft gestritten, meistens ging
es von meiner Mutter aus. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass es
meinem Vater überhaupt nicht gut ging, als ich aus Berlin kam, ich
war richtig erschrocken.« Sie schlug die Hände vor den Mund. »Das
ist gerade zwei Wochen her, es kommt mir vor, als läge ein
Menschenleben dazwischen.«
»Welche Rolle hat Ihre Tante in dem
Haushalt gespielt? Sie hat eng mit Ihrem Vater zusammengearbeitet,
sie müsste doch immer und überall dabei gewesen sein. Ich wundere
mich, dass sie so wenig zu unserer Untersuchung beitragen
kann.«
»Tante Louise ist ein Mensch, der
Konflikte nicht sehen will, sie hat immer beschwichtigt und so
getan, als wäre nichts, obwohl es manchmal heftige
Auseinandersetzungen bei uns gab, zwischen meinen Eltern, aber auch
zwischen mir und meiner Mutter. Louise hat niemals mitgestritten,
sie hat niemals Stellung für eine Seite bezogen, sie war immer nur
darauf bedacht, zwischen uns zu schlichten. Ich glaube, sie
übersieht einfach manche Dinge, sie nimmt sie einfach nicht
wahr.«
»Worin bestanden denn die Spannungen
zwischen Ihrer Mutter und Ihrem Vater?«
»Sie waren sehr verschieden. Meine
Mutter hat die Art meines Vaters nicht verstanden, sein
Temperament, seine Leidenschaftlichkeit. Er konnte ja sehr fröhlich
sein, vor allem früher, als ich noch klein war, er erzählte die
schönsten Geschichten, tanzte und spielte jede Rolle nach, er sang
und machte Grimassen, Louise und ich kamen manchmal aus dem Lachen
überhaupt nicht heraus. Mutter konnte selten etwas damit anfangen,
seine gefühlvolle Art war ihr eher peinlich, er konnte zum
Beispiel, wenn bei uns eine Gesellschaft war und er getrunken
hatte, vor allen Gästen singen oder auch weinen, je
nachdem.«
Anna lächelte, verfiel in Pekkas
Singsang und gestikulierte mit den Händen. »›Durch die Sümpfe sind
sie gewatet, Tante Mia und Tante Naimi, die beiden runden Nudeln,
das hättet ihr nur sehen müssen. Zu fett waren sie, um über den
schmalen Steg zu dem Inselchen zu balancieren, das zu unserem
Sommerhaus gehörte, da haben sie sich einfach pillpullnackt
ausgezogen und sind durch den Sumpf marschiert, bis zur Taille
steckten sie drin. Den Picknickkorb trugen sie über dem Kopf, der
ist niemals nass geworden. Dann haben sie sich in die Sonne gesetzt
und Blaubeerkuchen gegessen, bis ihnen der Saft auf die Bäuche
getropft ist, dabei haben sie so laut gelacht, dass man es über den
ganzen See hören konnte.‹ - Solche Sachen erzählte er stundenlang,
und wenn die Geschichten zu Ende waren, fing er wieder von vorne
an, wir konnten sie immer und immer wieder hören, es wurde niemals
langweilig.«
Hugo lächelte, dann schlug er die
Augen nieder.
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