Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Stuhl hochzuziehen. Doch dieser fiel um und begrub den Mann unter sich. Eliane untersuchte die Männer hastig und nahm zwei kleine Pistolen an sich und einige murmelgroße Kugeln, die sie in ihren Taschen fand. Zudem zwei dünne Metallscheiben, ähnlich den Zollscheiben, die man ihnen abgenommen hatte.
»Es ist Zeit zu gehen«, sagte Eliane.
Martin starrte sie ungläubig an. »Du bist ein Monster, Eliane, du hast sie kaltblütig umgebracht.«
»Ich bin ihnen nur zuvorgekommen. Genau das hätten sie nach der Folter auch mit uns gemacht. Träum nicht, komm, wir müssen uns beeilen.«
»Da kommen wir nie lebend raus«, murmelte Martin. Aber er hatte in der letzten Zeit zu viel erlebt und gesehen, um noch richtig Angst zu haben.
Eliane öffnete vorsichtig die Tür und lugte in den Korridor.
»Die Luft ist rein.« Sie schloss die Tür zum Befragungszimmer mit dem Schlüssel, der außen steckte und warf diesen dann in einen Abfallkübel, an dem sie vorbei gingen. Niemand war auf dieser Etage zu sehen. Am Ende des Korridors führte eine Treppe nach unten und eine nach oben.
»Wir sollten nach dem Kurier sehen«, schlug Martin vor.
»Nein, wir gehen hinauf. Wenn wir Glück haben, finden wir einen Weg, der in die höheren Stadtteile führt. Wir müssen zum Hohen Rat.«
»Aber die beiden kamen ja bereits vom Hohen Rat. Du kannst doch nicht vor den Hohen Rat treten und sagen: Hallo, ich habe gerade eure Abgesandten ermordet.«
»Ich zweifle daran, dass sie der Hohe Rat geschickt hat«, sagte sie und eilte die Treppe hoch. Martin folgte ihr dichtauf mit weichen Knien.
Es erschreckte ihn, wie kaltblütig auf diesem Planeten Leute umgebracht wurden. Auch Eliane schien nichts daran zu finden, unliebsame Personen so mir nichts dir nichts ins Jenseits zu befördern. So sehr er sie auch mochte, ihre kalte und grausame Seite hatte einen Graben zwischen ihnen aufgeworfen, den er nicht zu überbrücken vermochte.
Auf der Treppe, die nach oben führte, passierten sie drei Etagen, bis sie unvermittelt vor einer offenen Tür standen, die ins Freie führte. Ein Zöllner kam ihnen entgegen und Eliane grüßte zackig. Martin tat es ihr gleich. Der Mann betrat das Gebäude, aus dem sie kamen, ohne sie weiter zu beachten. Sie waren auf eine schmale Straße gelangt, die an einer Gebäudefront klebte, gut zwanzig Meter über dem Wasser des Fjords mit dem Zollkai. Es herrschte lebhafter Fußgängerverkehr. Frauen in weiten bauschigen Röcken und Korsetts, elegant gekleidete Herren und Mechanische beherrschten das Bild. Nicht weit entfernt führte eine Brücke im Bogen über den Fjord auf die andere Seite. Eliane ging raschen Schrittes darauf zu.
»Komm, wir müssen uns beeilen. Hier könnte bald was los sein.«
»Ja, die Hölle«, murmelte Martin, als er ihr folgte. Er blieb stehen und warf einen Blick auf das Zollgebäude unter ihnen. Zwei Uniformierte standen am Kai und diskutierten miteinander. Alles schien ruhig seinen gewohnten Gang zu nehmen. Offenbar hatte man die beiden Toten noch nicht entdeckt. Auch der Schraubendampfer lag noch vertäut an der Anlegestelle. Doch vom mechanischen Kurier war nichts zu sehen. Eliane zog ihn am Ärmel. Eine vorübergehende Dame mit einem hellblauen Sonnenschirm rümpfte ob dieser Geste die Nase.
Auf der anderen Seite der Brücke führte eine Gasse direkt in das Häusergewirr hinein. Irgendwo heulte eine Sirene.
»Sie suchen uns«, flüsterte Martin.
»Sie werden uns suchen, doch ohne Aufhebens. Die Sirene gilt vermutlich einem anderen Vorkommnis.«
Eliane betrat ein Gebäude mit einem für Martin unverständlichen Piktogramm: ein Doppelpfeil, der nach oben und unten zeigte. Doch das Rätsel löste sich nach ein paar Metern. Sie standen vor einem Paternoster-Aufzug. Ohne Vorwarnung betrat Eliane den Lift, Martin musste die nachfolgende Kabine benutzen. Eine Etage nach der anderen zog vorbei, doch erst bei der siebenten sah er Eliane, die ausgestiegen war. Sie wartete auf ihn.
»Was jetzt?«, fragte er.
»Dieser Paternoster ist hier zu Ende …«
»… wie hast du das gewusst?«
»Unten stand eine Sieben neben dem Aufzug.« Sie lachte leise. »Zudem ist der oberste Ausgang immer rot markiert.«
»Dann müssen wir einen anderen Aufzug suchen, der weiter nach oben führt?«
»Das hat Zeit bis morgen. Es ist besser, wenn wir mal die Lage sondieren und es uns etwas gemütlich machen.«
»Gemütlich? Wir werden von der ganzen Stadt gesucht, weil wir zwei Beamte ermordet haben, und du willst
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