Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
dritte Person? Sie meinen den Kurier.«
»Nein, der zählt nicht. Ich spreche von einem gewissen Thomas Vanderbilt, seines Zeichens Luftschiffpilot und Sklavenhändler.«
»Thomas?«, stieß Martin erstaunt hervor, worauf er wieder einen Tritt ans Schienbein erhielt.
»Sehen Sie! Wir kommen der Sache schon näher. Als Außenweltler sind sie wesentlich kooperativer als zum Beispiel Mechanische oder Hybride«, stellte er mit einem Seitenblick auf Eliane fest. »Sie müssten wir schon auseinandernehmen, um mehr zu erfahren.«
Martin schauderte bei diesen Worten. Er ahnte, was der Mann damit andeuten wollte.
»Von wem wurde der Haftbefehl ausgestellt?«, fragte Eliane.
»Sie sind nicht gefragt, meine Dame, und hier stellen wir die Fragen. Aber vielleicht hilft es Ihrem Gedächtnis, wenn ich Ihnen sage, dass darauf der Name von Milady Alexandra Vanderbilt steht.«
»Alexandra!«, hauchte Martin. »Die aus Thomas‘ Tretrad. Ist sie denn hier in der Stadt? Hat Sie Ihnen den Haftbefehl persönlich überbracht.«
»So ist es«, bestätigte der Schwarzgekleidete.
»Aber sie gehört doch nicht zum Hohen Gericht von Stahldorf«, reklamierte Martin.
»Sie haben keine Ahnung, mein Herr, und Sie tun gut daran, genau auf unsere Fragen zu antworten und Ihre eigenen für sich zu behalten.«
»Sonst was?«, fragte Martin sichtlich genervt. Diesmal verzichtete Eliane darauf, ihn ans Schienbein zu treten.
»Ich sage es nicht gerne. Aber die Umstände zwingen mich dazu. Sonst sehen wir keine andere Lösung, als die mechanischen Komponenten Ihrer Begleiterin näher zu untersuchen. Vielleicht verfügt sie über ein integriertes Aufzeichnungsgerät.«
»Wir haben keine Ahnung, wo Thomas sich befindet. Wir haben ihn zum letzten Mal im Kessel von Stahldorf gesehen«, sagte Martin. Spielte es überhaupt eine Rolle, was er sagte? Vielleicht wäre es sogar besser, anstelle der Wahrheit den beiden irgendeine erfundene Geschichte aufzutischen. Oft war die Lüge die bessere Wahrheit.
Wir geben Ihnen genau eine halbe Stunde Zeit, nochmals über die Wahrheit nachzudenken«, sagte der Schwarzgekleidete, der bisher geschwiegen hatte, und nahm aus der Tasche seines Anzugs eine Sanduhr. Er stellte sie mitten auf den alten Holztisch. Als sich die beiden erhoben, um zur Tür zu gehen, sagte Eliane:
»Wir verlangen, vom Hohen Rat von Stonehenge angehört zu werden. Wir haben ihm eine wichtige Botschaft zu überbringen.«
»Sie können uns die Botschaft übergeben, meine Dame, wir werden sie weiterleiten. Der Hohe Rat hat uns dazu ermächtigt.«
Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, setzten sie sich wieder auf die Stühle. Martin starrte in das Glas der Sanduhr. Was würde wohl passieren, wenn er sie umdrehte?
»Versuch das erst gar nicht«, warnte ihn Eliane, als könne sie Gedanken lesen. »Mit den zwei ist nicht zu spaßen, sie sind von der Geheimpolizei.«
»Mehr als die Wahrheit berichten, können wir doch nicht«, begehrte Martin auf.
»Das wird aber von uns erwartet.« Eliane lachte wiehernd und Martin sah sie darauf irritiert an. Wie konnte sie nur lachen, angesichts der schwierigen Situation, in der sie steckten?
Als die letzten Sandkörner in die untere Hälfte rieselten, kehrten die beiden Herren wieder zurück. Martin und Eliane erhoben sich.
»Der Zoll hat in der Zwischenzeit das Schiff des Kuriers untersucht«, sagte einer von ihnen. »Sie hatten Schmuggelware dabei. Damit haben Sie ein weiteres Verbrechen begangen. Das Schiff wurde deshalb beschlagnahmt und der Mechanische außer Betrieb gesetzt.«
»Das können Sie doch nicht tun. Wir haben nichts verbrochen«, rief Martin entrüstet.
»Sie haben einen Kurier der Kaiserin außer Betrieb gesetzt. Das wird Folgen haben«, sagte Eliane düster.
»Wir sind legitimiert, alles zu tun, um Unheil von Stonehenge abzuwenden. Wir nehmen Sie mit in unser Hauptquartier. Ihre Begleiterin bleibt in der Zwischenzeit in Gewahrsam des Zolls. Sie …«
Seine weiteren Worte gingen in einem Gurgeln unter. Im Hals des Schwarzgekleideten mit der Brille steckte ein Wurfstern. Blut spritzte quer über den Tisch. Entsetzt starrte Martin auf die Szene. Noch ehe der zweite Mann reagieren konnte, steckte auch in seinem Hals ein Eisenstern. In seinen weit geöffneten Augen sah Martin ein ungläubiges Staunen. Der Mann griff sich an die Kehle, aus seinem geöffneten Mund schoss ein Schwall Blut. Der zuerst Getroffen war inzwischen zusammengesackt. Er versuchte noch, sich an einem
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