Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
nach einer Weile waren nur noch die Windgeräusche zu hören. Das Licht der Scheinwerfer erlosch, draußen herrschte absolute Finsternis. Alarmiert blickte Martin im Schein der Notbeleuchtung auf die Anzeigen. Sie hatten keinen Dampfdruck mehr.
»Das ist unmöglich«, entfuhr es ihm. »So rasch nimmt die Hitze im Kessel nicht ab und der Wasserstandsanzeiger liegt immer noch im grünen Bereich.«
»Vielleicht ein Leck«, rätselte Eliane.
Da touchierten die Ballonräder auch schon die Straße. Langsam verringerte sich die Geschwindigkeit. Martin und Eliane suchten fieberhaft nach dem Fehler, doch der war vom Cockpit aus nicht zu entdecken.
»Wir müssen aussteigen und die Maschine untersuchen«, kommentierte Martin die Situation.
Da tauchte rechts vor ihnen am Straßenrand ein helles Objekt auf. Der Autoplan hielt direkt davor.
»Eine Imbissbude!« Martin rieb sich verwundert die Augen. »Das ist entweder ein Witz oder ein verrückter Traum.« Zum Test kniff er sich in den Arm, doch der Schmerz war echt, er träumte nicht. Am Straßenrand stand eine Holzbaracke, die drei Fenster hell beleuchtet. Unter dem ausladenden Vordach waren einige Tische und Stühle aus weißem Plastik zu sehen, von einer Girlande aus bunten Lampions beleuchtet, die darüber gespannt war. An einem Tisch saß ein junger Herr in Frack und Zylinder und trank aus einer Tasse. Er schien der einzige Gast zu sein. Interessiert betrachtete der Mann die Ankunft des Autoplans.
»Der Kristallpalast«, sagte Eliane leise und zog ihren Nagler aus der Manteltasche. »Das muss der Kristallpalst sein, vor dem uns Doktor Dampfeisen gewarnt hat.«
»Ich sehe weder Kristalle noch einen Palast, sondern etwas, das es hier nicht geben darf.« Martin verstaute den leblosen Mikromechanischen in seiner Tasche.
»Wenn Zeit und Raum nicht mehr stabil sind, ist nichts unmöglich. Komm, wir sehen uns die Imbissbude, wie du diese Erscheinung nennst, genauer an.«
Sie stiegen aus dem Autoplan und näherten sich dem jungen Herrn in Frack und Zylinder. Der hatte lässig die Beine übereinandergeschlagen und zündete sich gerade eine Zigarette in einer Verlängerung an.
»Milady, mein Herr, Willkommen in Nirwana«, begrüßte er sie.
»Nirwana? Das befindet sich doch oben auf der Eisebene«, entgegnete Eliane.
»Und Plastik habe ich bisher auf Tiffany nirgends gesehen«, sagte Martin und deutete auf den Tisch, an dem der Mann saß.
»Scharf beobachtet, mein Herr. Hier finden sie das Beste aus zwei Welten. Darf ich Ihnen einen Tee offerieren?«
Martin bedankte sich und bot Eliane einen Stuhl an, dann setzte er sich ebenfalls. »Zwei Welten, die von Lady Eliane und meine«, sagte er. »Diese Imbissbude stammt aus unseren Köpfen.«
»Sie ist eine Illusion«, erklärte Eliane und richtete ihren Nagler auf den Mann. »Was wollen Sie und wieso haben Sie uns hier anhalten lassen?«
In diesem Augenblick trat ein Mechanischer aus der Baracke. Er balancierte geschickt ein Tablett mit zwei Tassen und einem Krug.
»Möchten Sie auch etwas essen, Milady, mein Herr? Wir haben eine ausgezeichnete Tagespizza. Quattro Stagioni«, rasselte der Roboter. Sein menschenähnlicher Kopf dampfte aus den Ohren.
»Es reicht, Sie können das Theater abstellen«, sagte Martin.
Elianes Arm schoss blitzartig über den Tisch und packte den Mann am Kragen. Sie zog ihn zu sich, bis sich fast ihre Nasenspitzen berührten. Mit der freien Hand hielt sie ihm den Nagler vors Gesicht. In diesem Moment ging mit dem jungen Mann eine erstaunliche Verwandlung vor. Frack und Zylinder lösten sich in nichts auf und der Mann schrumpfte zusammen und veränderte sich radikal.
»Ein Illusionist«, stellte Martin verblüfft fest, als er das Wesen sah, das vor ihnen auf dem Tisch lag. Der katzenartige Kopf mit den großen Augen und dem Haarbüschel dazwischen, die übergroßen Ohren und der Overall, der einem Weltraumanzug glich.
»Hör gut zu, Kleiner, und dann sprich schnell«, knurrte Eliane. »Sonst geht es dir wie deinem Kollegen, der uns in Fort Watt in den Abgrund befördern wollte. Wieso hast du uns angehalten und was soll das ganze Theater?«
»… ich dachte, es würde euch Spaß machen. Das Beste aus zwei Welten, aus seinem und deinem Kopf. Ich will euch nichts Böses. Bitte tu mir nichts.«
Seine Augen sind ganz anders, dachte Martin. Der Illusionist, dem sie in Fort Watt begegnet waren, hatte einen bösen, hinterhältigen Blick gehabt. Doch dieser hier schaute drein wie ein verängstigtes
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