Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Verfügten die Ärzte auf dieser Welt überhaupt über Antibiotika? Fragen über Fragen stürzten seine Gedanken ins Chaos. Bilder von schwarzen und verfaulenden Gliedmaßen tauchten unwillkürlich vor seinem inneren Auge auf.
»Wir könnten ihn in den mechanischen Läufer stecken«, schlug Morpheus vor. »Wir haben doch ein Exemplar dabei?«
»Ja, doch innert vierundzwanzig Stunden muss er auf den Operationstisch, sonst garantiere ich nicht für sein Leben. Auch wenn wir ihn an den Blutwäscher des Läufers anschließen.«
»Gut«, entschied Morpheus, »tun Sie es.« Und zu Martin gewandt sagte er:
»Vielleicht haben Sie Recht und es ist besser, wenn wir Sie mitnehmen, anstatt Sie hier festzusetzen. Zudem scheinen Sie über ein beachtliches technisches Talent zu verfügen.«
Als Lady Cecilia wieder in seinem Gesichtsfeld auftauchte, hatte sie eine Spritze in der Hand. Sie war von der Größe, wie er sie einmal beim Viehdoktor gesehen hatte, der bei seinem Großvater im Stall eine kranke Kuh behandelt hatte, und sie war mit einer orangeroten Substanz gefüllt. Die Biomechanikerin fackelte nicht lange. Als sie zustach, schien Martins Hirn zu explodieren, und orangerote Gedanken flohen in alle Richtungen.
Als er wieder bei Sinnen war und klar denken konnte, spürte er zwar seine Beine und seinen linken Arm immer noch nicht, aber er fühlte sich, als könne er Bäume ausreißen. Da waren unvermittelt Schritte zu hören, die dem Klang nach nur zu einem Mechanischen passten. Martin spürte wie der Boden leicht vibrierte.
Der mechanische Neuankömmling blieb am Fußende seiner Liege stehen und er war nicht nur einen Kopf größer als Lady Cecilia, er ähnelte auch keinem der Mechanischen, denen er bisher begegnet war. Sein Körper bestand nur aus einem metallenen Skelett. Aber es war nicht vollständig, sondern besaß eine Aussparung, die der Form eines Menschen entsprach. Auf der eigenartigen Konstruktion saß ein großer länglicher Kopf mit einem dunklen Visier wie bei einem Motorradhelm.
Sie wollten ihn in diesen Mechanischen stecken, erkannte Martin, er war im Prinzip eine Art intelligentes Exoskelett. Doch Angst hatte er keine. Schlimmer konnte es für ihn nicht mehr kommen. Ja, er verspürte sogar eine gewisse Neugier auf diese Erfahrung.
Die beiden schwarz gekleideten Herren mit den Bowlern auf den Köpfen hoben ihn von der Liege und schnallten ihn im Läufer fest, wie sie den Roboter nannten. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er, dass sie ihm die Kleider ausgezogen und ihn in einen schwarzen Anzug gesteckt hatten, der sich eng an seinen Körper schmiegte und sich anfühlte wie eine zweite Haut. Als sich der Kopf des Roboters mit einem leisen Summen senkte und über seinen Kopf stülpte, verspürte Martin einen Anflug von Panik. Doch der wich bald einer gewissen Faszination. Die Sicht durch das dunkle Visier war ausgezeichnet. Alles in seiner Umgebung schien viel klarer und schärfer zu sein, als er es gewohnt war. Da berührte etwas Feuchtkaltes seinen Hinterkopf und gleich darauf vernahm er eine Stimme.
»Hallo, Martin, ich bin dein Läufer. Ich hoffe du fühlst dich wohl. Du brauchst nicht laut zu sprechen, um mit mir zu kommunizieren, es genügt, wenn du die Lippen bewegst.«
»Wo sitzt denn deine Mechanik, Läufer? Du bestehst ja nur aus einem Gestänge und einem hohlen Kopf.«
»Ich bin eine mikromechanische Konstruktion. Ein großes Volumen ist da nicht notwendig.«
»Wie steuere ich dich?«
»Ich bin kein Gefährt, das man einfach steuern kann, ich bin ein denkendes Wesen, Martin. Du kannst mit mir kommunizieren und mir deine Wünsche mitteilen. Ich werde versuchen, in deinem Sinne zu handeln.«
Martin war enttäuscht, aber er ließ sich nichts anmerken. Von einem Exoskelett hatte er erwartet, dass es die Bewegungen seiner Beine und Arme verstärkte und er es dirigieren konnte. Aber andererseits konnte er nur noch seinen rechten Arm bewegen. Der allein hätte ihm kaum weitergeholfen.
»Passen Sie gut auf sich auf, Lady Cecilia«, sagte Morpheus. Dann schritt er voran auf eine Tür zu. Der Läufer mit Martin an Bord folgte ihm automatisch. Erst jetzt konnte er sehen, dass sie sich nicht etwa in einer Klinik, sondern in einer Lagerhalle befanden. Seine Liege war ein Feldbett gewesen.
Sie marschierten durch dunkle Korridore, mal führte eine Treppe nach oben mal nach unten. Nach einer Tür rechts, folgte eine Verzweigung links. Martin hatte bald die Orientierung verloren. Doch plötzlich
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