Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
ihre Aufpasser verschwunden.
»Sie sind nun offenbar sicher, dass wir abreisen werden«, sagte Thomas.
»Aber können sie auch sicher sein, dass wir wirklich nach Stonehenge fliegen werden?«, fragte Martin. »Wir könnten doch einfach irgendwohin abhauen.«
»Es gibt kein Irgendwohin. Stonehenge ist der nächste erreichbare Ort. Zurück nach Tiffany können wir nicht, der Wind oben auf der Eisebene ist stark und kommt für eine solche Fahrt aus der falschen Richtung. Wir haben gar keine Wahl, wir müssen nach Stonehenge.«
»Aber wir kehren nicht mehr hierher zurück«, sagte Eliane.
»Das wissen die Leute in der Oberstadt. Darum auch das Todesurteil. Es soll uns davon abhalten, zurückzukommen. Sie wollen uns nicht mehr sehen, nachdem wir unsere Aufgabe erledigt haben«, feixte Thomas.
»Wie können sie denn sicher sein, dass wir Stonehenge überhaupt warnen?«, wollte Martin wissen.
»Du bist offenbar noch nicht gescheiter geworden, seit du hier bist«, bemerkte Eliane und schüttelte den Kopf. »Es liegt in unserem eigenen Interesse Stonehenge zu warnen. Wenn die rebellischen Mechanischen die Stadt überrennen, sind auch wir geliefert.«
»Aber wir wollen doch weiter nach Orb.«
Er sah Thomas‘ Antlitz im Licht der Aurora nur schemenhaft, aber Martin war sich sicher, dass er wieder den Ausdruck eines unschuldigen Kaninchens im Gesicht hatte, als er entgegnete:
»Was denkst du denn, wo die Mechanischen am Ende hin wollen?«
Als die ersten Strahlen der Zwillingssonnen auf die obersten Felsen des Kessels einen orangeroten Schimmer zauberten, war es soweit. Martin nahm all seinen Mut zusammen und kletterte die Strickleiter hoch auf die Plattform zwischen den beiden Gastanks. Eliane folgte und grinste, als sie sah, wie ungeschickt er sich dabei anstellte. Währenddessen startete Thomas, der in der Motorengondel Platz genommen hatte, den Elektromotor. Dann kappte er die Halteleinen der Verankerung. Sanft hob das Gefährt ab und schwebte dem hellgrauen Himmel entgegen. Der Blick nach unten war Martin versperrt, und das war gut so, sonst wäre ihm sicher schlecht geworden. Er war nicht schwindelfrei und schon die Aussicht auf die steilen Felswände rundherum bereitete ihm tiefstes Unbehagen.
»Viel Sonne gelangt nicht in diesen Felsenkessel. Erstaunlich, dass die Pflanzen gedeihen«, bemerkte er.
»Sie haben sich an dieses Klima angepasst«, entgegnete Eliane, »außerdem ist es unten im Kessel mild.«
»Ja, doch was geschieht im Winter? Dringt der Schnee nicht bis in die Tiefe vor?«
»Winter? Was ist das?«
»Eine Jahreszeit, eine Periode der Kälte.«
Martin verstand. Dieser Planet kannte offenbar keine Jahreszeiten. Seine Achse war gegenüber der Ekliptik nicht geneigt und dem Sonnenstand nach mussten sie sich in mittleren Breiten befinden. Bei diesen Überlegungen wurde ihm endgültig bewusst, dass dieser Ort nichts mit der Erde gemein hatte, er war auf einem fernen Planeten gestrandet.
Je höher sie kamen, desto kälter wurde es. Martin war froh um den dicken wattierten Mantel. Vermutlich würde er auch die Handschuhe brauchen, wenn sie erst mal oben auf der Hochebene waren. Er und Eliane trugen jetzt auch die gleiche Sorte Lederkappe, wie Thomas sie bereits die ganze Zeit getragen hatte. Dazu natürlich die unvermeidlichen Goggles, diese altertümlichen Brillen, die auf diesem Planeten offenbar Standard waren und deren Zweck er noch nicht ganz ergründet hatte. Zu ihrer Ausrüstung gehörten aber auch gefütterte Lederstiefel, die sie ebenfalls in einer der Kisten im Hangar gefunden hatten. Flix Krok hatte vorgesorgt. Sie hatten alles gefunden, was sie für ihre Expedition brauchten. Einiges hatte darauf hingedeutet, dass es nicht das erste Mal war, dass ein Luftschiff aus dem Kessel startete. Ob die anderen jemals zurückgekehrt waren?
Sie trieben jetzt nahe an der Felswand in die Höhe und das Brummen des Elektromotors war lauter geworden. Offenbar versuchte Thomas ihre Position zu korrigieren. Unten im Kessel war es windstill gewesen, doch hier oben wehte ein böiger Wind, wie er an der Gischt eines Wasserfalls sehen konnte, den sie passierten. Er fragte sich, wo all das Wasser hinfloss und wieso der Kessel trocken und nicht längst vollgelaufen und zu einem See geworden war. Irgendwo musste es einen Abfluss geben. Vielleicht eine tiefe Schlucht oder eine Höhle, die einen unterirdischen Fluss speiste. Aber am Ende musste das Wasser wieder zurück an die Oberfläche und in die
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