Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
das Luftschiff aus der Spalte zum grauen Himmel emporschoss, legte es sich so schräg, dass sie sich an den Rest des zerfetzten Netzes festkrallen mussten, um nicht von der Plattform zu kippen und auf die Eiswüste zu stürzen.
»Wir haben Thomas mit der Motorgondel verloren«, schrie Martin und sah dabei aus den Augenwinkeln, wie ihr Reisegepäck aus dem Adlernest glitt und in die Tiefe stürzte.
»Wir müssen landen«, rief Eliane zurück, die sich nur mit einer Hand festkrallte. In der anderen hielt sie ein Messer und stach damit immer wieder in die Hülle, kleine Löcher hinterlassend, aus denen Gas entwich.
Martin wurde schlecht, als er an die Explosionsgefahr dachte. Ein winziger Funke würde genügen und sie beide würden vor ihrem Sturz von einem Feuerball verbrannt werden. Doch die befürchtete Explosion blieb aus. Stattdessen riss das Netz endgültig auseinander, das die Hüllen zusammengehalten hatte. Die beiden zigarrenförmigen Körper lösten sich voneinander und der eine schoss, von allem Gewicht befreit, rasend schnell dem grauen Himmel entgegen. Die andere Hülle, an deren Netzreste sich die beiden klammerten, drehte sich, sodass Eliane und Martin nun daran hingen, unter ihnen nichts als die Dünen der Eiswüste.
»Nicht loslassen«, rief Eliane und stach weiter auf die Hülle ein. Sie schien keine Mühe zu haben, nur mit einer Hand an der verbleibenden Hülle zu hängen. »Wir schaffen das schon.«
Tatsächlich verloren sie an Höhe. Doch nicht an Geschwindigkeit. Der Wind auf der Eisebene hatte Sturmstärke und trieb sie in einem Höllentempo über die weiß glitzernde Landschaft. Martin fragte sich, ob sie unter diesen Umständen eine Bruchlandung überleben konnten. Die Dünen kamen nun immer näher und sie schossen über ihre Kämme hinweg, ohne merklich langsamer zu werden. Im Gegenteil! Martin hatte den Eindruck, ihre Fahrt beschleunige sich noch. In diesem Moment tauchte vor ihnen die Eisblume mit den Kristallzacken auf und versperrte ihnen den Weg. Einige der Spitzen zeigten in ihre Richtung und Martin fürchtete, von ihnen aufgespießt zu werden.
»Abspringen!«, rief Eliane und ließ sich fallen. Martin zögerte keine Sekunde. Seinen Händen fehlte ohnehin die Kraft, sich noch länger zu halten. Auch er ließ los. Im Fallen sah er, wie die Hülle in die Höhe schoss, dann versank er schon im weichen Schnee. Voller Panik und nach Luft schnappend, kämpfte er sich aus der Düne, bis sein Oberkörper frei war. Am Rande registrierte er, dass es die Hülle des Luftschiffes nicht mehr geschafft hatte, über das Hindernis zu steigen. Sie wurde von einem der Riesenkristalle aufgespießt. Doch auch diesmal blieb eine Explosion aus. Der zündende Funke fehlte.
»Jetzt sitzen wir vollends im Kakao«, sagte er zu sich selbst, als er sich beruhigt hatte und wieder zu Atem gekommen war. Zwar hatte der Schnee den Sturz abgefedert, aber sie würden darin kaum vorwärts kommen. Eigentlich war es gar kein richtiger Schnee, stellte er fest. Auf jeden Fall nicht wie er ihn von der Erde her kannte. Er bestand aus kleinen runden Körnern. »Wie Schneesand«, entfuhr es ihm.
»Das war eine saubere Landung«, tönte es hinter ihm und Elianes wieherndes Gelächter ertönte. Sie bahnte sich einen Weg zu ihm und er sah dabei, wie mühsam dieses Unterfangen war.
»Wir müssen zu den Kristallen. Aus dem Rest der Hülle können wir uns ein Biwak bauen.«
»Das hat doch keinen Sinn, wir können hier oben sowieso nicht lange überleben.« Er fühlte sich plötzlich unendlich müde und hätte sich am liebsten einfach in den Schnee gelegt, um zu schlafen.
Eliane baute sich vor ihm auf und ergriff ihn am Revers seines Mantels. Sie schüttelte ihn, dann fauchte sie ihn an: »Hör mir gut zu, Außenweltler Martin. Du wirst jetzt nicht aufgeben. In Situationen wie dieser legt man sich nicht einfach schlafen, sondern man sucht sich zuerst einen geschützten Platz, damit man in aller Ruhe die Situation analysieren und über das weitere Vorgehen nachdenken kann. Ich gehe jetzt voran und du wirst mir folgen!«
Sie drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch den tiefen Schnee. Martin bemühte sich, mit ihr Schritt zu halten. Glücklicherweise drehten sie dem Wind den Rücken zu und waren so nicht nur geschützt, sondern konnten auch von seiner Kraft beim Vorwärtskommen profitieren. Trotzdem war es weiter, als Martin gedacht hatte. Das lag vor allem daran, dass er die Größe der Eisblume nicht richtig eingeschätzt
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