Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
hatte. Als sie unmittelbar vor den glitzernden Pfeilern standen, war er beeindruckt von ihrer wahren Größe. Meterdicke Türme ragten vor ihnen empor und zeigten dabei in alle Himmelrichtungen. Sie waren weiß wie alles in dieser Landschaft und hart wie Stahl. Der Pfeiler, der die Hülle des Luftschiffes aufgespießt hatte, ragte schräg vor ihnen in die Höhe. Die Reste ihres Gefährts flatterten ihm Sturmwind wie eine Fahne.
»Ich steige hinauf und sehe mal nach, was wir noch gebrauchen können«, sagte Eliane. Dann machte sie sich auf den Weg. Derweilen suchte Martin Schutz vor dem Wind hinter einem der Kristallpfeiler.
Was wohl aus Thomas geworden war? Hatte er sich retten können oder war er mit der Motorgondel abgestürzt? Er würde es wahrscheinlich nie erfahren. Auch nicht, was mit dem Mikromechanischen geschehen war. Hatte der kleine Roboter wirklich auf ihrer Seite gestanden, wie es den Anschein gemacht hatte, oder verfolgte er eine eigene Agenda? Martin dachte auch an Alexandra und er hätte zu gerne gewusst, was aus ihr geworden war. Nach den Worten des Schremp auf dem Roboterfriedhof hatte sie sich aus der Gefangenschaft der blutsaugenden Hypnotiseure befreien können. Wo mochte sie jetzt stecken? Er dachte auch an Isabelle, seine Stiefmutter. Ob sie immer noch nach ihm suchte? Auch das würde er nie erfahren. In dieser Eiswüste konnte niemand lange überleben. Vielleicht würden sie die Nacht überstehen, doch wenn sie nicht der Kälte zum Opfer fielen, dann dem Durst und dem Hunger. Er versank in Hoffnungslosigkeit.
Er wurde von einem großen Bündel aus seinen düsteren Gedanken gerissen, das neben ihm in den Schnee plumpste und ihm Schneekörner ins Gesicht pustete. Gleich darauf folgte Eliane.
»Das ist der kümmerliche Rest unseres stolzen Luftschiffes. Aber es genügt, um uns daraus ein Zelt zu bauen. Komm, wir suchen uns einen windgeschützten Ort auf der Leeseite der Eisblume.«
DAS BIWAK
Nach einem mühsamen Weg durch die Kristalle der Eisblume gelangten sie an einen Ort, der Eliane geeignet schien. Sie nahm ihr Vorhaben unverzüglich in Angriff und Martin staunte, wie geschickt sie dabei vorging. Innert Kürze entstand ein Zelt aus der Luftschiffhülle, mit Resten aus dem Netz zwischen zwei Eispfeilern aufgespannt. Ein Stück der Hülle diente als Boden und schützte sie vor der Kälte des Schnees. Als sie schließlich hineinkrochen, zog Eliane einen Metallzylinder aus dem Gürtel unter ihrem Mantel. Sie schraubte den Deckel ab und entnahm ihm einen bläulich schimmernden Stein. Dann legte sie ihn auf einen Metallfolie und beugte sich mit dem Kopf darüber. Martin beobachtete irritiert, wie sie etwas Speichel auf den kleinen Stein tropfen ließ. Dieser nahm zuerst eine rote Farbe an, die dann ins Gelbe wechselte, um schließlich gleißend hell zu glühen.
»Ein Stück Karbonfluxer«, bemerkte er erstaunt.
»Ja, er wird uns eine Weile mit Wärme versorgen und auch mit heißem Getränk. Ich bin zwar weniger darauf angewiesen. Aber du hast es sicher nötig.«
Sie nahm ein weiteres Stück Metallfolie und formte es zu einem kleinen Pfännchen, das sie dann mit Schnee füllte und über den glühenden Karbonfluxer hielt.
»In der Zwischenzeit können wir uns in Ruhe beraten«, sagte sie zufrieden und zum ersten Mal sah Martin, wie sie wirklich lächelte.
Diese Frau ist verrückt, schoss es ihm durch den Kopf. Trotzdem mochte er sie. Ja, vielleicht sogar mehr als das. Noch war er sich nicht sicher, was er mit seinen neu entdeckten Gefühlen anfangen sollte. Doch ihre Ruhe, ihre Selbstsicherheit und ihr Optimismus steckten ihn an und die Anspannung der vergangenen Stunden fiel von ihm ab. Mit der Wärme des Karbonfluxers und dem Sturm, der an ihrem Zelt rüttelte, wäre es sogar gemütlich gewesen, wenn sie nicht in dieser aussichtslosen Lage gesteckt hätten.
»So, wie ich unsere Situation beurteile, haben wir folgende Optionen …«, sagte Eliane. Sie holte bei diesen Worten einen weiteren Metallzylinder unter ihrem Mantel hervor und schüttete daraus ein feines goldgelbes Pulver in das heiße Wasser des Pfännchens. »… wir können uns gegen den Sturm zurück zur Felsspalte kämpfen, aus der wir gekommen sind, und versuchen, hinunter zu klettern. Oder wir bauen uns einen Schneesegler und fahren damit bis zum Tal von Stonehenge. Dort müssten wir dann noch einen Weg finden, um hinunter in die Stadt zu gelangen. Vielleicht von Fort Tesla aus, das nahe an der Abbruchkante
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