Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
braucht. Es hat auch Konserven mit Nahrung. Sie sind zwar gefroren, verfügen aber über eine chemische Erhitzung, sobald man sie aufmacht.«
Martin staunte. Die Großzügigkeit des Kuriers wurde ihm immer unheimlicher. Hatte er sich bereits so sehr an den Egoismus dieser Welt angepasst, dass ihm schon ein Geschenk suspekt vorkam?
Tatsächlich war die Kiste vollgepackt mit Proviant. Ob der Kurier sie auch aus dem Versteck im Zwischenboden geholt hatte? Daneben fanden sie auch drei Faltmesser, ein halbes Dutzend Wurfsterne und ein Päckchen Metallfolie, wie sie Eliane für das Pfännchen benutzt hatte. Auch ein Zylinder mit Karbonfluxer war dabei. Zuunterst entdeckten sie drei Lederbeutel mit bleistiftdicken, wenigen Zentimeter langen Metallstäben. Sie hatten alle das gleiche Muster eingraviert: ein Ornament aus Zahnrädern.
»Das sind Neodym-Stäbe aus Orb«, erklärte Eliane. Sie werden überall als Zahlungsmittel akzeptiert.
»Reines Neodym?« Martin staunte.
»Nicht ganz, sie sind mit Eisen und Bor legiert und extrem magnetisch. Sie sind fälschungssicher. Der Magnetismus ist ein Beweis ihrer Echtheit. Du kannst vielleicht Gold mit einem Kern aus Wolfram fälschen, aber einen Neodym-Stab aus Orb kannst du nicht nachmachen.«
»Wie wertvoll sind diese Stäbe?«
»Wertvoller als alles andere. Neodym ist äußerst selten und wird nur in Orb hergestellt.«
»Dieses Orb muss ein fantastischer Ort sein. Liegt es auch in einem Graben oder gar unter der Erde wie Stahldorf?«
»Nein, Orb liegt in der Mitte der Welt, dort ist das Klima etwas freundlicher.«
»Dann ist diese Welt doch nicht so kalt und öde und nur von ein paar Gräben durchzogen.«
»Der Rest des Planeten schon. Orb ist einzigartig, das wirst du sehen. Einst ist dort ein riesiges Schiff aus dem Æther abgestürzt und hat die Grundlage für die Stadt geschaffen.«
Wohl eine Legende, wie vieles andere auch, dachte Martin. Andererseits hätte er vieles von dem, was er in der letzten Zeit erlebt hatte, früher auch in den Bereich der Legenden verwiesen.
»Und in Orb soll es möglich sein, in andere Welten zu wechseln.«
»Ja. Das möchtest du doch, Martin, oder nicht?«
Das war eine seltsame Frage, fand er. Natürlich wollte er wieder nach Hause. Doch dann dachte er an seine Stiefmutter Isabelle. Würde sie hierbleiben, wenn er zurückkehrte, oder würde dann alles wieder so, wie es gewesen war. Würde er gar aus einem langen Traum aufwachen? Und was würde dann aus Eliane werden? Am liebsten würde er sie mit auf die Erde nehmen, überlegte er.
»Ja, wenn es ein Zurück gibt, so möchte ich wieder nach Hause.«
Sie schaute ihn mit einem Ausdruck an, den er nicht zu deuten wusste, und in ihren Augen glitzerte es.
FORT TESLA
Die Nacht verlief ruhig und im Gegensatz zu den zwei Nächten, die sie im Zelt verbracht hatten, schien auch Eliane zu schlafen. Sie hatte sich dabei eng an ihn gekuschelt und er genoss die Wärme ihres Körpers und vergaß dabei, dass sie halb Maschine, halb Mensch war. Der Kurier stand die ganze Nacht reglos am Steuerstand und starrte in die Dunkelheit. Bevor eine der Schwestern am Horizont erschien, setzte er die Maschine in Gang und der Schraubendampfer nahm wieder Fahrt auf.
Als die erste der beiden Schwestern den Zenit erreichte, wurde voraus ein Turm sichtbar und gleich darauf ein zweiter und dann ein dritter. Doch erst als sie näher kamen, wurde ersichtlich, wie mächtig das Fort war. Es glich einer Burg aus dem Mittelalter und war unmittelbar an die Abbruchkante gebaut worden. Einer der Türme klebte gar außen an der Felswand wie ein Adlernest. Von ihm aus, sei die Aussicht grandios, sagte der Kurier. Der Graben sei an dieser Stelle mehr als dreitausend Meter tief. Das Hauptgebäude glich mit seinen Kathedralenfenstern einer Kirche. Wer weiß, dachte Martin, vielleicht war es sogar eine, obschon er bisher keinem Anzeichen von Religiosität begegnet war. Auch der große Kran war jetzt gut sichtbar mit seinem langen Ausleger. Daneben hatte es einen Kleineren, an dem eine Personengondel hing. Der Kurier steuerte das Fort an und hielt bei einem Anlegesteg in der Nähe eines großen Tors, vor dem zwei Mechanische mit Æthergewehren postiert waren.
»Nehmt aus der Kiste mit, was ihr braucht«, forderte er sie nochmals auf. Eliane steckte die Wurfsterne und ein Messer ein und nahm auch einen der Beutel mit Neodym-Stäben an sich. Sie reichte Martin ebenfalls ein Messer und einen Beutel mit Stäben. Er
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