Die Reise Nach Petuschki
mir ist das wurscht. Alter und Treue ziehen Falten in die Visage, und ich bin nicht daran interessiert, daß sie Falten in der Visage kriegt. Es ist mir wurscht, wenn sie untreu ist, vielleicht nicht ganz wurscht, aber immerhin wurscht.
Dafür hat sie Aroma und Süße. Sie ist nicht da, um befingert oder verdroschen zu werden, sie ist da, um eingeatmet zu werden. Ich habe einmal versucht, ihre verborgenen Rundungen zu zählen, aber das war nicht zu schaffen. Bei der siebenundzwanzigsten angekommen, war ich so erschöpft, daß ich mich mit einem Glas Subrowka stärken mußte und die Rechnung aufgab.
Das Schönste an ihr sind allerdings ihre Arme, das muß man sagen. Besonders dann, wenn sie mit ihnen herumfuchtelt, begeistert lacht und sagt: »O Jerofejew, du Hurenbock, du verkommener!« Diese Teufelin. Wie sollte man so eine nicht einatmen?
Natürlich ist auch sie bisweilen giftig geworden. Aber das hatte überhaupt nichts zu sagen, weil das nichts anderes bei ihr ist als Selbstschutz und noch irgend so was Weibliches. Aber davon verstehe ich nichts. Als ich sie in- und auswendig kannte, entdeckte ich jedenfalls keinerlei Gift in ihr, sondern nur Erdbeeren mit Schlagsahne. An einem der bewußten Freitage zum Beispiel, ich war rundum so richtig schön warm von der Subrowka, sagte ich zu ihr: »Komm, laß uns das ganze Leben zusammenbleiben. Am Wochenende fahren wir nach Lobnja, ich hülle dich in Samt und Seide. Ich könnte mit meinen Telefonkabeln was dazuverdienen, und du könntest in Wohlgerüchen schwelgen — zum Beispiel in Liliendüften. Ja, du könntest in Liliendüften schwelgen. Laß uns fahren!«
Und sie? Zeigte mir mit ihren Fingerchen wortlos den Vogel. Erschöpft führte ich sie an meine Nase, atmete ihren Duft ein und begann zu weinen:
»Warum nur?... warum?«
Sie zeigte mir wieder den Vogel. Und wieder griff ich ihre Fingerchen, führte sie zur Nase, schnupperte und weinte wieder:
»Warum nur? Ich beschwöre dich, antworte. Warum?« Und da fing auch sie zu schluchzen an und hängte sich an meinen Hals:
»Du Schwachkopf! Als wüßtest du nicht selbst, warum! Du weißt doch, warum, du armer Irrer!«
Danach wiederholte sich fast jeden Freitag das gleiche Spiel: Tränen und Vogelzeigen. Aber heute — heute wird es sich entscheiden, weil der heutige Freitag der dreizehnte an der Zahl ist. Und Petuschki kommt immer näher. Himmlische Mutter!
Tschornoje — Kupawna
Ich begann, auf der Plattform hin- und herzulaufen, schrecklich erregt, rauchte und rauchte ...
Nach alledem behauptest du noch, daß du einsam und unverstanden bist? Du, der so viel im Herzen trägt, so viel und noch mehr! Du, der so eine in Petuschki hat! Und so einen hinter Petuschki!... Du bist einsam?... Nein, nein, ich bin nicht mehr einsam und unverstanden, seit zwölf Wochen schon. Alles was war, ist nicht mehr. Ich weiß noch, damals, an meinem zwanzigsten Geburtstag, da war ich hoffnungslos einsam. Es war ein trauriger Geburtstag. Jurij Petrowitsch und Nina Wassiljewna kamen mich besuchen und brachten mir eine Flasche Stolitschnaja und eine Büchse Kohlrouladen. Beim Anblick der Kohlrouladen fühlte ich plötzlich eine so unendliche, so unbeschreibliche Einsamkeit, daß ich, ohne es zu wollen, zu weinen begann ...
Und als ich dreißig wurde letzten Herbst? Der dreißigste Geburtstag war ebenso traurig wie der zwanzigste. Borja kam mit so einer halb verblödeten Dichterin, Wadja mit seiner Lida und Ledik mit Wolodja. Sie brachten mir — na was wohl? — sie brachten mir zwei Flaschen Stolitschnaja und zwei Büchsen gefüllte Tomaten. Beim Anblick der Tomaten befiel mich eine solche Verzweiflung, eine solche Qual, daß ich weinen wollte, aber ich konnte nicht mehr ...
Bedeutet das, daß ich im Laufe von zehn Jahren weniger einsam geworden bin? Nein. Bedeutet das, daß ich in zehn Jahren verroht und verbittert bin? Nein, auch das nicht. Eher sogar umgekehrt. Aber weinen - weinen konnte ich trotzdem nicht mehr...
Warum? Am besten läßt sich das an einem Vergleich aus der Welt des Schönen erklären. Nehmen wir folgendes Beispiel: Wenn ein stiller Mensch siebenhundertfünfzig Gramm trinkt, wird er froh und verwegen. Und wenn er dann noch siebenhundert trinkt? Wird er davon fröhlicher? Nein, er wird wieder still. Oberflächlich betrachtet könnte man sogar meinen, er sei wieder nüchtern. Doch bedeutet das, daß er tatsächlich nüchtern ist? Keineswegs. Er ist besoffen wie ein Schwein, und deshalb ist er still. Genauso geht
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