Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
Vom Netzwerk:
sagte sie mit ihrer umfangreichen Bauchstimme.
    Die Konfusion dauerte nur ein paar Augenblicke.
    »Die Appetitliche kommt mit dem Essen«, spöttelte der Dekabrist. Alles lachte.
    »Was gibt es da zu lachen«, sagte der Opa. »Sie ist eine Frau wie jede andere, gut und schön weich »Solche Weiber«, entgegnete düster der Schnurrbärtige, »sollte man auf die Krim schicken und dort den Wölfen zum Fraß vorsetzen ...«
    »Nicht doch, nicht doch«, protestierte ich etwas nervös. »Sie soll sich zu uns setzen! Sie soll uns was erzählen! Und ihr wollt Turgenjew und Maxim Gorkij gelesen haben. Habt ihr nicht mehr daraus gelernt?«
    Ich rückte zur Seite, damit sie sich zu uns setzen konnte, und goß ihr ein halbes Glas von meiner »Tante Klara« ein.
    Sie trank es aus und schob, anstatt sich zu bedanken, ihre Baskenmütze etwas zur Seite. »Seht ihr das?« fragte sie und zeigte uns die Schramme, die sie über dem Ohr hatte. Dann schwieg sie einen Augenblick feierlich und hielt mir das Glas wieder hin: »Gib mir noch einen Schluck, junger Mann, sonst fall ich in Ohnmacht.«
    Ich goß ihr noch ein halbes Glas ein.

Pawlowo-Possad — Nasarjewo
    Sie trank auch das aus, und auch diesmal wieder irgendwie mechanisch. Dann riß sie ihren Mund auf und sagte: »Seht ihr das? Vier Zähne weg.«
    »Wo sind sie denn, die Zähne?«
    »Was weiß ich, wo die sind. Ich bin eine gebildete Frau und muß ohne Zähne rumlaufen. Er hat sie mir wegen Puschkin ausgeschlagen. Da höre ich zufällig, daß ihr hier ein literarisches Gespräch führt. Geh, denke ich, setz dich zu ihnen, trink einen Schluck und erzähle ihnen, wie man dir wegen Puschkin den Schädel eingeschlagen und vier Vorderzähne ausgeschlagen hat.«
    Sie begann, uns ihre Geschichte zu erzählen, in einem wilden Stil...
    »Alles hat mit Puschkin angefangen. Eines Tages schickte man uns dem Komsomolorganisator Jewtjuschkin. Der hatte nichts Besseres zu tun, als die Mädchen in den Hintern zu kneifen und Gedichte zu rezitieren. Eines Tages packt er mich plötzlich an den Waden und schreit: ›Hat dich mein Blick jemals gequält?‹ Ich antworte: ›Und wenn er hätte?‹ Darauf packt er mich wieder an den Waden: ›Hat meine Stimme dich beseelt?‹ Er reißt mich plötzlich an sich und zerrt mich irgendwohin. Und als es sich ausgezerrt hatte, lief ich tagelang wie im Tran herum und wiederholte immerzu: »Puschkin — Jewtjuschkin — gequält — beseelt.‹ »Gequält—beseelt—Puschkin—Jewtjuschkin‹...«
    »Komm zur Sache«, unterbrach sie der Schnurrbärtige, »komm zu den Vorderzähnen.«
    »Gleich, gleich komme ich zu den Zähnen! Sie werden Ihre Zähne schon kriegen! ... Wie ging es weiter? Ja, seit jenem Tag lief alles gut; ein ganzes halbes Jahr versuchten wir den Himmel auf dem Heuboden, und alles lief gut! Aber dann hat dieser Puschkin wieder alles versaut. Ich bin nämlich wie Jeanne d' Arc. Was tut die, anstatt ihre Kühe zu hüten und ihr Korn zu ernten? Schwingt sich aufs Pferd und reitet auf ihrem Hintern nach Orleans, Abenteuer suchen. So auch ich. Kaum habe ich was getrunken, gehe ich auf ihn los: ›Wer soll denn für dich die Kinder großziehen? Puschkin, was?‹ Und er schnauzt zurück: ›Was denn für Kinder? Es sind doch keine da! Was hast du denn mit deinem Puschkin?‹ Und darauf ich: ›Wenn sie da sind, ist es zu spät, sich auf Puschkin zu besinnen !‹
    Und so ging es jedes Mal, kaum daß ich bißchen was getrunken hatte. ›Die Kinder‹, sage ich, ›wer soll die für dich großziehen? Puschkin, was?‹ Und er tobt: ›Geh weg, Darja‹, schreit er, ›laß mich. Du bringst mich zur Weißglut !‹ Ich haßte ihn in diesen Augenblicken, ich haßte ihn so sehr, daß mir davon schwarz vor Augen wurde. Und trotzdem, nachher liebte ich ihn wieder, so sehr, daß ich nachts davon aufwachte ...
    Aber neulich, da konnte ich mich nicht mehr bremsen. Ich war blau wie ein Veilchen. Ich stürzte mich auf ihn und brüllte: ›Soll vielleicht Puschkin die Kinder für dich großziehen? Was? Puschkin vielleicht?‹ Kaum war Puschkins Name gefallen, wurde er blaß vor Wut und begann am ganzen Körper zu zittern: ›Sauf, besaufe dich, aber laß Puschkin in Ruhe. Laß die Kinder in Ruhe. Sauf alles aus, sauf mein Blut, aber versuche Gott deinen Herrn nicht!‹ Ich war zu der Zeit krank geschrieben, wegen Gehirnerschütterung und Darmverschluß. Im Süden war gerade Herbst, und ich schrie ihm ins Gesicht: ›Geh fort, du Verbrecher, geh ein für allemal. Ich

Weitere Kostenlose Bücher