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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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›Wie kommt's?‹ dachte ich, während ich von Manhattan auf die Fifth Avenue abbog, und gab mir selbst die Antwort: ›Das kommt von ihrer säuischen Selbstgefälligkeit, von nichts anderem.‹ Doch woher kommt die Selbstgefälligkeit?? Ich blieb mitten auf der Avenue wie angewurzelt stehen, um den Gedanken zu Ende zu spinnen: ›Woher kommt in einer Welt von fiktiver Propaganda, in einer Welt der Reklameauswüchse so viel Selbstgefälligkeit?‹ Ich ging in Richtung Harlem und zuckte mit den Schultern: ›Wie kommt's? Wie kommt's, daß die Spielbälle der Monopolideologen, die Marionetten der Kanonenkönige, wie kommt's, daß die einen so guten Appetit haben? Fressen fünfmal am Tag, und zwar nicht wenig üppig, aber auch das mit der gleichen unendlichen Würde ... Kann ein guter Mensch überhaupt Appetit haben, und erst recht in den Staaten? !‹«
    »Ja, ja«, der alte Mitritsch nickte mit dem Kopf, »die essen und essen dort, während wir fast gar nichts mehr essen... Den ganzen Reis schicken wir nach China, den ganzen Zucker nach Kuba ... Was bleibt da für uns noch übrig...?«
    »Laß mal, Opa! Du hast dein Teil schon gegessen, versündige dich nicht! Wenn du in die Staaten kommst, vergiß eins nicht: vergiß die Heimat nicht, und vergiß nicht ihre Güte. Maxim Gorkij hat nicht nur über die Weiber geschrieben, er hat auch über die Heimat geschrieben. Erinnerst du dich, was er geschrieben hat...?«
    »Freilich erinnere ich mich«, sagte er, und alles Getrunkene lief ihm in Bächen aus seinen blauen Augen. »Freilich ... ›Wir gingen mit der Großmutter immer tiefer in den Wald hinein ...‹«
    »Was hat denn das mit der Heimat zu tun, Mitritsch?!« protestierte der Schnurrbärtige ärgerlich. »Das handelt von der Großmutter und überhaupt nicht von der Heimat!«
    Mitritsch begann wieder zu weinen.

Nasarjewo — Dresna
    »Sie sind doch viel herumgekommen«, sagte der Schnurrbärtige, »haben viel gesehen. Sagen Sie, wo schätzt man den russischen Menschen mehr, diesseits oder jenseits der Pyrenäen?«
    »Jenseits weiß ich nicht, aber diesseits schätzt man ihn überhaupt nicht. Ich war zum Beispiel in Italien, dort schenkt man dem russischen Menschen keinerlei Beachtung. Die singen und malen nur den ganzen Tag. Einer steht da und singt, und der andere sitzt daneben und malt den, der singt. Der dritte steht etwas abseits und besingt den, der malt... Das alles stimmt einen unendlich traurig. Aber die Italiener verstehen unsere Traurigkeit nicht...«
    »Diese Italiener, was verstehen die überhaupt!« unterstützte mich der Schnurrbärtige.
    »Eben, eben. Als ich in Venedig war, wollte ich mir am St. Markus-Tag die Gondelregatta ansehen. Ich wurde unendlich traurig von dieser Regatta! Mein Herz weinte bittere Tränen, aber meine Lippen blieben stumm. Doch die Italiener verstanden nichts, lachten und deuteten mit dem Finger auf mich: ›Seht euch Jerofejew an, der läuft wieder rum wie hingesch ... !‹ Ich und wie hingesch ...! Weil meine Lippen stumm blieben?...
    Im Grunde hatte ich in Italien auch nichts verloren. Ich wollte mir nur drei Dinge ansehen: den Vesuv, Herculaneum und Pompeji. Aber man erklärte mir, daß es den Vesuv längst nicht mehr gäbe, und schickte mich nach Herculaneum. Als ich in Herculaneum ankam, sagte man mir: ›Was willst du denn in Herculaneum, du Dummkopf? Geh lieber nach Pompeji.‹ Ich komme nach Pompeji, und was sagt man mir da? ›Du gehst uns auf die Nerven mit deinem Pompeji! Sieh zu, daß du nach Herculaneum verschwindest !‹
    Ich pfiff darauf und begab mich nach Frankreich. Ich lief durch die Straßen und war schon fast an der Maginot- Linie, da kam mir plötzlich eine Idee: Geh, denke ich, geh zurück und quartiere dich für eine Weile bei Luigi Longo ein. Miete dir eine Schlafstelle bei ihm und lies Bücher, anstatt dich sinnlos herumzutreiben. Besser wäre natürlich eine Schlafstelle bei Palmiro Togliatti, dachte ich, aber der ist ja kürzlich gestorben... Doch Luigi Longo ist schließlich auch nicht schlechter ...
    Aber ich kehrte trotzdem nicht um. Ich durchquerte Tirol und schlug meinen Weg in Richtung Sorbonne ein. Ich komme in die Sorbonne und sage: ›Ich möchte bei Ihnen studieren, um Bakkalaureus zu werden.‹ Sie fragen mich: ›Wenn du Bakkalaureus werden willst, mußt du irgendwas von einem Phänomen an dir haben. Was hast du denn von einem Phänomen an dir?‹ Nun, was sollte ich ihnen antworten. Ich sage: ›Nun, was sollte ich von einem Phänomen

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