Die Reise Nach Petuschki
Flasche macht bei dreißig Flaschen drei sechzig, während der Kräuterschnaps zwei zweiundsechzig kostet. Das weiß jedes Kind. Wie sich Puschkin den Tod geholt hat, weiß keiner, aber das weiß jeder. Klar, drei sechzig ist gut, besser als zwei zweiundsechzig, aber du nimmst trotzdem kein Wechselgeld, weil hinter der Theke eine gute Frau steht, und eine gute Frau muß man respektieren
»Und warum ist das eine gute Frau hinter der Theke?« »Weil eine schlechte eure Flaschen überhaupt nicht nehmen würde. Aber die gute nimmt eure schlechten Flaschen und gibt euch eine gute dafür. Deshalb muß man sie respektieren ... Wozu sind die Weiber überhaupt auf der Welt?« Alle schwiegen bedeutungsvoll. Jeder dachte das Seine oder aber alle dasselbe. Ich weiß nicht.
»Die Weiber sind auf der Welt, um respektiert zu werden. Was sagte noch Maxim Gorkij auf Capri? ›Der Maßstab jeder Zivilisation ist die Art und Weise des Umgangs mit der Frau.« So auch ich: Wenn ich mit dreißig leeren Flaschen ins Geschäft in Petuschki komme, sage ich: ›Teuerste‹, sage ich mit so versoffener und trauriger Stimme, »Teuerste, ich wollte Kräuterschnaps, seien Sie so gut...« Dabei ist mir klar, daß ich fast einen ganzen Rubel zuviel gebe: drei sechzig minus zwei zweiundsechzig. Schade drum. Sie schaut mich an und denkt: Soll ich diesem Mistkerl den Rest rausgeben oder nicht? Ich schaue sie auch an und denke: Wird sie mir rausgeben, das Miststück, oder nicht? Das heißt, in diesem Augenblick schaue ich sie gar nicht an. Ich schaue durch sie hindurch, irgendwohin ins Weite. Und was ersteht vor meinem geistigen Auge? Die Insel Capri. Es wachsen die Agaven und die Tamarinden, und darunter sitzt Maxim Gorkij in weißen Hosen, unter denen die behaarten Beine hervorsehen. Er droht mir mit dem Zeigefinger: ›Nimm kein Wechselgeld, untersteh dich!‹ Ich zwinkere ihm zu: »Schon gut, schon gut, aber wovon soll ich mir was zu fressen kaufen, wenn ich ausgetrunken habe?‹
Darauf er: ›Laß nur, Wenja, du wirst es schon aushalten. Wenn du unbedingt fressen willst, dann brauchst du ja nicht zu saufen.‹ Und so gehe ich ohne Wechselgeld und ärgere mich. Maßstab der Zivilisation! denke ich. Mein lieber Gorkij! Du bist mir so ein Maßstab. Bist du so dämlich oder warst du besoffen, als du das da in Capri verzapft hast? Du hast gut reden, sitzt auf Capri und frißt Agaven. Und was soll ich fressen?«
Die Passagiere lachten, und der Enkel fing an zu kreischen: »I-i-i-i, was für schöne Agaven, was für schöne Capris...«
»Was die Frauen betrifft«, sagte der Dekabrist, »sind die schlechten manchmal nicht auch zu was gut?«
»Aber sicher, aber sicher«, antwortete ich ihm. »Gerade ein guter Mensch braucht manchmal geradezu eine schlechte Frau. Schauen Sie mich an. Ich lag vor zwölf Wochen noch im Sarg, schon seit vier Jahren, so daß ich bereits aufgehört hatte zu stinken. Da sagte man zu ihr: »Siehst du, er liegt im Sarg. Erwecke ihn von den Toten, wenn du kannst.‹ Sie schritt zum Sarg; ihr hättet sehen sollen, wie sie schritt!«
»Das kennen wir«, sagte der Dekabrist. »Sie schreitet so, wie sie schreibt. Und schreiben tut sie wie Leo, und Leo schreibt nichts als Kacke.«
»Eben, eben! Sie schritt zum Sarg und sagte: ›Talitha qûmî.‹ Das bedeutet in der Übersetzung aus dem Hebräischen: ›Ich sage dir, stehe auf und geh.‹ Und was geschah? Ich stand auf und ging. Und nun laufe ich schon seit drei Monaten herum mit meinen trüben Augen ...«
»Die trüben Augen kommen von der Traurigkeit«, wiederholte der Schnurrbärtige mit der Baskenmütze. »Und die Traurigkeit kommt von den Weibern.«
»Die trüben Augen kommen davon, wenn man über den Durst trinkt«, unterbrach ihn der Dekabrist.
»Was heißt hier ›über den Durst‹? Und warum trinkt jemand ›über den Durst‹? Weil er, angenommen, traurig ist und zu einer Frau fährt. Schließlich kann man nicht zu einer Frau fahren, ohne zu trinken. Es müßte schon eine schlechte Frau sein. Und wenn sie tatsächlich schlecht ist, muß man erst recht trinken. Je schlechter sie ist, desto besser muß man trinken!« ,
»Ich muß schon sagen«, rief der Dekabrist aus, »wie gut, daß wir hier alle so gebildet sind! Bei uns geht es gerade so zu wie bei Turgenjew: wir sitzen da und diskutieren über die Liebe. Wißt ihr was, ich erzähle euch was — von einer einmaligen Liebe und davon, wie nützlich manchmal schlechte Weiber sind...! Laßt es uns so machen, wie bei
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